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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights
Autoren: Tom Liehr
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aussehen müssen wie George Clooney,
     mindestens.
     
    Vögler und ich quatschten häufig, schließlich war ich der zweite Mann in der Station, wir gingen ab und zu ein Bierchen trinken,
     ohne
zu
persönlich zu werden, duzten uns natürlich, alle in der Station taten das; Vögler allerdings auch sonst, prinzipiell, unabhängig
     davon, wen er vor sich hatte. Wann immer ich darüber nachdachte – und ihn dabei ansah, wie jetzt gerade -, fiel mir auf, daß
     Vöglers Verhalten mit seiner Erscheinung nicht gerade konvergierte, vorsichtig ausgedrückt. Eigentlich sah er aus wie ein
     typischer kleiner Beamter, nicht wie der Chef einer vulkanhaften Rock-And-Roll-Radiostation, und er hatte tatsächlich ein
     bißchen was Schleimiges, bei aller Coolness. Farb-und Konturarmut seines Gesichts, das niemals Emotionen zeigte, taten ein
     übriges.
    Und wir waren sogar Schwanzschwager, jedenfalls fast: Nach der Dreijahresfeier von
PowerRock Berlin
waren wir |19| mächtig versackt, zu zweit, er hatte mich schließlich in den Touristen-, Vertreter-und Kommunalpolitikerpuff Nummer eins,
     das
Gorgeous
, geschleppt, wo er für uns zwei Nutten und ein Zimmer organisierte, bevor ich – einen Ozean
Jack Daniel’s
in mir – überhaupt begriff, was Sache war. Ein paar Tage ärgerte ich mich darüber, daß es ihm gelungen war, mich ausgerechnet
     in eine Fickbude und sogar noch
auf Zimmer
zu schleppen, aber er hatte es anscheinend schon am nächsten Tag vergessen, sprach nie wieder davon. Was
ich
nicht so schnell vergessen konnte, waren die Geräusche, die Vögler beim Vögeln machte, woran ihn auch die hundertfünfzig Wodka-Lemons
     nicht hinderten: Er muhte. Stoßweise kam etwas, das sich wie
Mä-uuuhh
anhörte, und immerhin hatte ich dadurch wenigstens was zum Lachen.
     
    Ich schlürfte den leckeren Brasilia-Ganzfrisch und steckte mir noch eine Camel an, die dritte oder vierte, seit ich bei Vögler
     saß, der inzwischen auch ein halbes Dutzend eingeatmet hatte. Alle Radioleute rauchen, durch die Bank, mit Ausnahme der Nachrichtensprecher
     und -redakteure. Ich habe keine Ahnung, woran das liegt, aber es ist so. Viele koksen, ein guter Teil, viele kamen durchs
     Radio zum Koksen, durch den Kontakt mit Musikern und Produzenten, Roadies und Groupies, durch die schicken Bars und die dämlichen,
     aber wichtigen Parties. Ich wußte nicht, ob Vögler kokste, aber es sah eigentlich nicht so aus, spielte auch keine Rolle.
     Ich selbst ließ es. Koks ist was für Vollidioten. Jedenfalls waren alle, von denen ich wußte, daß sie es taten, absolute Knalltüten.
     
    Er legte auf, endlich, das heißt, er schob einen Haufen Krempel auf seinem Schreibtisch hin und her, ohne daß etwas auf den
     Boden fiel, bis er ungefähr an der Stelle, an der das Kabel aus dem Wust herausragte, den dazugehörigen Apparat fand. Er sah
     mich an, nahm die Schachtel Luckies »ohne« vom Schreibtisch, hielt sie mir hin, ich schüttelte leicht den Kopf, |20| meine
Camel
qualmte ja noch, er zündete sich die Fluppe an, zog kurz, packte sie irgendwohin (eine kleine Rauchsäule stieg aus einem Tal
     seiner Schreibtischlandschaft) und nahm einen Klarsichthefter, den er auf dem Schoß liegen hatte. Er warf einen Blick darauf,
     als wenn er selbst nicht wüßte, was das war, zog die Stirn kraus und sah mich an. Ausdruckslos. Entweder hatte er sich immer
     supergut im Griff, oder irgendwas stimmte nicht.
    »Na?« sagte er schließlich.
    Ich grinste, war fröhlicher Dinge, alles lief bestens, kein Grund zur Sorge. Meine Nachtsendung war ein Knaller, nach wie
     vor. Vom Rest des Programmes ganz zu schweigen.
    »Selbst
na
. Was gibt’s?«
    »Das sind die neuesten
GfK-Zahlen

    Er schob mir den Ordner zu. Ich nahm ihn, warf einen Blick auf das Deckblatt, das immer gleich aussah, die Zahlen kamen auf
     den Folgeseiten. Dann sah ich ihn wieder an.
    »Gute Nachrichten?«
    Ich legte den Ordner auf den Fußboden, neben meine CD-Kiste, nahm den Kaffee wieder auf, balancierte mit der anderen Hand
     die Camel in den aufklappbaren Mini-Aschenbecher, den ich immer bei mir trug
( K107 Philipsburg
), und zog einen Schluck.
    Vögler bewegte den Kopf leicht hin und her, vor und zurück: Nicken und Kopfschütteln gleichzeitig.
    »Wir sind immer noch die Eins, im Schnitt zwei Punkte Vorsprung vor
Boulevard

    »Seit mehr als einem Jahr«, sagte ich nickend.
    Es blieb bei der gemischten Kopfbewegung. Er wollte offensichtlich auf etwas anderes hinaus.
    »Wir bekommen Druck aus der
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