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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights
Autoren: Tom Liehr
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zweiten Reihe«, erklärte er.
» HipPop 97-9
hat um drei Prozent zugelegt,
Sound
sogar um drei Komma fünf.«
    »Na und?«, sagte ich verächtlich. Das waren Mainstream-Sender, Top-40-Hitradio ohne den geringsten Anspruch, legten die neuesten
     Sampler von
Ronny’s Pop-Show
und |21|
BRAVO Hits
auf oder so was und ließen den Computer sprechen.
    »In der Zielgruppe der Sechzehn-bis Zweiundzwanzigjährigen ist
HipPop
vorne. Da liegen wir nur auf Platz drei.«
    »Und in der darüber? Zweiundzwanzig bis fünfunddreißig? Gibt es
überhaupt
einen Sender außer uns, der diese Leute erreicht?«
    Ein leichter Ärger regte sich in mir.
HipPop
und
Sound
mit uns zu vergleichen: Fahrschule gegen Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft, mindestens.
    »Werbemäßig ist die Gruppe darunter attraktiver, und das weißt du«, behauptete er. »Leute, die Mitte Zwanzig sind, haben sich
     für ihre Zigarettensorte, ihr After-Shave und ihre Softdrinkmarke entschieden.«
    »Wir werben weder für Zigaretten – schön wär’s, wenn wir das
dürften
– noch für After-Shave«, maulte ich, um irgendwas zu sagen. Langsam begann mir das Gespräch unbehaglich zu werden.
    Er sah mich an, machte eine dramaturgische Pause.
    »Wir müssen moderner werden«, erklärte er.
    »Moderner?« Ich verschüttete fast meinen Kaffee, aber das machte nichts in Vöglers Büro, Parkettboden, Laminat, irgend so
     ein Zeug, jedenfalls wasserfest. »Wir sind
die
Power Station, haben das beste Sendekonzept, die lockerste Struktur, die heißeste Technik, die geilste Werbung – und das fortschrittlichste
     Musikprogramm. Denk an die Punk-Erfolge im letzten Jahr:
Wir
haben das
ForceFighters -Album
zur Nummer eins in Berlin gemacht, zwei Monate bevor sie in den Staaten Nummer eins wurden, ein Vierteljahr bevor’s im restlichen
     Bundesgebiet geklappt hat.«
    Ich war echauffiert. Und wußte nicht, warum ich ihm das erklären mußte.
    Vögler zuckte mit den Schultern: »Mir ist klargeworden, daß wir die falschen Leute erreichen. Die großen Etats zielen auf
     die Kids: Sportartikel, Spielzeug, Süßigkeiten, Softdrinks, die vier großen S, von denen wir leben.«
    |22| Ich blieb einen Moment lang still. Worauf wollte er hinaus? Wen meinte er mit ›wir‹? Eine Mikrosekunde lang dachte ich, daß
     jetzt vielleicht die Chance käme,
meine
Radiopläne zu verwirklichen. Aber die hatten so gut wie nichts mit den Kids und den »vier großen S« zu tun. Ich zündete eine
     neue Camel an, sah, daß meine Hand vor Aufregung zitterte, und musterte den Geschäftsführer von
PowerRock Berlin
. Nichts zu erkennen. Oder doch? War da ein leicht fieser Ausdruck in seinem Blick? Etwas wie Schadenfreude?
    Er seufzte, ein bißchen zu theatralisch, wie ich bemerkte, als säße er vor einem störrischen Kind, dem er den Sinn von Hausaufgaben
     erklären mußte, lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück, starrte an die Decke. Ich folgte seinem Blick, aber da war nichts,
     nur schlecht verklebte Deckenplatten, wie damals in meinem Kellerzimmer.
    »Der Markt ist eng«, erklärte er.
Natürlich
. Genausogut hätte er sagen können:
Die Sonne scheint tagsüber
oder
Der Ball ist rund
. Zwei Dutzend Sender für knapp vier Millionen Einwohner, von denen ein Drittel zum alten Eisen gehörte und eine halbe Million
     kein Deutsch sprach, dazu die Konkurrenz durch ein paar überregionale Sender, die bei gutem Wetter einstrahlten und auch ihre
     Klientel erreichten. Natürlich war der Markt eng. Aber wir waren
Scheiß-Marktführer
. Was scherte uns das Gekrepel der Sender am unteren Ende der Skala?
    »Wir werden umstrukturieren.«
Jetzt
lächelte er.
    »Klasse«, murmelte ich, während ich Sarkasmus aufkommen spürte – und Panik. Asche von meiner Camel krümelte in die Kaffeelache
     auf dem Boden.
    Vögler sah mich fest an, irgendwie erwartungsfroh, räusperte sich, setzte sich etwas aufrechter hin. »Wir werden straightes
     Formatradio machen, Zielgruppe vierzehn bis fünfundzwanzig, plusminus.«
    »Was?« schrie ich, verschluckte mich fast. Was …?
    »Kürzere Moderationen, höherer Musikanteil, mehr Gewinnspiele, |23| ein gläsernes Studio in der City«, fuhr er unbeirrt fort. »Wir machen einen harten Übergang. Die Station wird nicht mehr
PowerRock Berlin
heißen, sondern
PowerStation Berlin
. Oder so. Der Name steht noch nicht fest.«
    Er zählte das auf, als wäre es die normalste Sache der Welt, und eine seltsame Art von Siegesgewißheit ging von ihm aus. Ich
     war total vor den Kopf
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