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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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    5.11.
    Die langweiligen Bewohner von gegenüber sind weg. Ausgezogen. Das lächerliche Fensterbild klebt noch an der Scheibe. Schaue (fast) den ganzen Tag aus dem Fenster – und merke nichts vom Auszug? Wann haben die gepackt? Wo waren die Umzugskartons? Wo der Übersiedlungstransporter? Müssen sich einfach geschlichen haben, unauffällig wie sie waren.
    Die leere Wohnung schaut sympathisch aus. Harmlos. Unschuldig. Bietet Raum für Spekulationen: Wann kommen neue Mieter? Wie werden sie sein? Wieder Leute, die beim Einsetzen der Dämmerung die Jalousien runterlassen, als hätten sie was zu verbergen in ihrem Vater-Mutter-Kind-Leben? Die Wohnung liegt schräg gegenüber, etwas tiefer als meine, wie ein Puppentheater, auf dem alles spiel- und denkbar ist. Beinahe aufregend.
    Toni hat heute Morgen einen ansehnlichen Haufen Tannenreisig in die Einfahrt gelegt. Obenauf eine Karte: »Von der Wiener Stadtgärtnerei«. Decke damit Zuckerhut, Brokkoli und Endivien zu. Die ersten Frostnächte sind im Anmarsch. Passend dazu kommt am Nachmittag die Holzlieferung. Staple einen Kubikmeter Buchenscheiter in meinen Geräteraum. Nehme einen vollen Korb nach oben.
    Toni schaut abends vorbei. Essen Palatschinken mit Karfiolfüllung. Bedanke mich für das Reisig. Heizen Ofen an. Freue mich über neue Asche für meine Toilette.
    8.11.
    Knacken heute Vormittag die Früchte meines alten Herrn, des Nussbaums. Anstrengend. Muss fünfmal zum Kompost gehen, bis alle Schalen entfernt sind g müssen in tiefere Schichten eingearbeitet werden, sonst dauert die Zersetzung zu lange. Toni verzieht sich währenddessen in ihre Wohnung und kommt gegen zwei mit einer Apfel-Zeller-Suppe vorbei. Lässt nichts zu wünschen übrig. Als Nachtisch gibt es Nussbeugerl. Unsere Walnüsse sind aromatisch und fettig, freue mich auf kommende Nussnudeln, Nussstrudel, Kekse und mehr aus Tonis Backstube. Der alte Herr steht nun abgeerntet mit braunen Blättern im Garten g nichtsdestoweniger majestätisch.
    Höre am Nachmittag »Tonspuren«, später »Dimensionen«. Lese dazwischen. Verdauung beinahe tadellos: wurstartig geformt, mit Furchen.
    10.11.
    Die Räume drüben sind noch immer leer. Wie ein Vogelnest, das auf den Frühling und neue Bewohner wartet. Oder warte nur ich?
    Kontrolliere Lageräpfel im Geräteraum. Verkoche weiche Äpfel zu Mus und Kompott. Wohnung duftet herrlich nach Zimt, Gewürznelken und Sternanis. Als Toni zum Mittagessen mit Rotkraut und Erdäpfelknödeln ankommt, steigt heimeliger Schimmer in ihre Pupillen.
    »Wir kochen Kerzen ein«, beschließt sie. »Darf ich ein paar von der Gruppe einladen?«, fragt sie, obwohl sie meine Antwort genau kennt: auf keinen Fall! Toni kann es nur darauf ankommen, mich aus der Reserve zu locken. Sie hat nach dem Essen zwei Kundinnen, danach machen wir uns über ihre (unzähligen) Kerzenreste her. Schmelzen sie ein, reinigen das flüssige Wachs, fügen getrocknete Rosenblätter von meinen Stöcken bei, gießen es in Kuchen- und Muffinsbackformen, bringen Dochte an und lassen sie am Fensterbrett zu Kerzen auskühlen. Jetzt riecht es hier endgültig wie auf dem Weihnachtsmarkt. Ein weiterer Grund, nicht rauszugehen.
    11.11.
    Entferne am Vormittag neben dem Komposthaufen die Grasnarbe bis zur Sandschicht. Hebe Sand aus und schütte ihn im Geräteraum auf. Lege geerntete Karotten, Rote Rüben, Zeller und Fenchel darauf, schlage sie in Sand ein, befeuchte das Ganze. Sollte bis Ende Jänner halten.
    Bringe getrocknete Kräuter aus dem Klohäuschen und Kürbis aus der Vorratskammer für das Mittagessen nach oben und verwandle beides zu Kräuterkürbis. Toni bringt Weißbrot mit. Wir essen relativ wortlos. Frage Toni, was los sei. Sie sagt, sie mache sich Sorgen um mich. Zwei Jahre seien schon um und sie frage sich, wie lange ich mich noch einschließen werde. Erkläre ihr, mich nicht einzuschließen. Ganz im Gegenteil, bin mit meinem Körper, meinem Kot, meinem Garten ganz in den Kreislauf des Lebens eingebunden. (Muss das so formulieren, damit Toni es »annehmen kann.«) Sie nickt und meint: »Okay, ich weiß, ich darf nicht ungeduldig sein.« Da sie diese Selbstermahnung bei jeder Gelegenheit
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