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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights
Autoren: Tom Liehr
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einziges Kinderzimmer, das sollte Wohlstand ausdrücken, irgendwie verschwenderisch wirken, keine Ahnung: Jedenfalls
     zeigte es deutlich die Prioritäten meiner Eltern, die auf meine schulischen Leistungen stolz waren (und damit wenig subtil
     hausieren gingen: »Wie viele Einsen hat denn Ihrer? Ach,
keine
? Na, bei unserem sind’s diesmal auch nur fünf Stück«), aber sich ansonsten kaum für uns interessierten. Daß meine Schwester
     schließlich ihr Zimmer bekommen sollte, war der Tatsache zu verdanken, daß sie androhte, ansonsten mit sechzehn auszuziehen,
     koste es, was es wolle. Das konnte meine Mutter unmöglich dulden; das Bild der heilen Familie wäre beschädigt worden, es kam
     nicht in Frage, daß einer von uns auszog, bevor er volljährig war, und so gaben sie dem Drängen nach. Erst später erfuhr ich,
     daß die Drohung in einer handfesten Erpressung bestanden hatte.
     
    Da Eß- und Arbeitszimmer keinesfalls aufgegeben werden durften, mußte auf andere Art Platz geschaffen werden. Die |14| »Werkstatt« meines Vaters lag im Souterrain, wie das bei uns genannt wurde; die Kellerräume ragten weit genug aus dem Boden,
     um Platz für fast normale Fenster zu bieten, die dann mit dem Erdboden abschlossen. Ein weiterer Raum im Souterrain war bis
     dahin als Abstellraum benutzt worden. Meine Eltern beschlossen, diesen kleinen, dunklen und etwas feuchten Raum zu renovieren,
     um ihn zu meinem Zimmer umzufunktionieren. Ich fand die Idee nicht so klasse, und ich sagte das auch:
    »Ich will aber nicht im Keller schlafen.«
    »Das ist kein Keller, das ist ein
Souterrain

    »Es ist aber unter der Erde.«
    »Nur zur Hälfte.«
    »Ich will nicht unter der Erde schlafen.«
    »Dein Vater hat hier seine Werkstatt, also kannst du hier auch dein Zimmer haben.«
    »Was baut Papa in seiner Werkstatt?«
    Ich bekam eine gefeuert, ohne zu wissen oder auch nur zu ahnen, wofür, und beide Diskussionen waren beendet. Ich würde in
     das Souterrain ziehen, das eigentlich ein Keller war, damit meine Schwester nicht zu den Behörden lief und sich über heftigen
     Mißbrauch durch massiv alkoholabhängige Eltern beklagte.
Eigentlich
fand ich es gar nicht so schlimm; der Raum hatte ein Fenster, ein recht großes sogar, was es mir erleichtern würde, heimlich
     in den Garten zu entwischen oder nachts das Haus zu verlassen, denn die Gitter vor dem Souterrainfenster waren innen und nur
     mit einem einfachen Riegel gesichert, den man von außen nicht sehen konnte.
    Also »renovierten« meine Eltern das Kämmerchen, das heißt, sie klebten ein bißchen Muster-und Rauhfasertapete an die Wände,
     nachdem sie den Raum ein paar Tage gelüftet hatten, legten einen blaugelben Teppich mit Bananenmuster auf den Fußboden und
     räumten meine Spielsachen, meine Bücher, einen kleinen Sperrholzschreibtisch und das Etagenbett hinein. Da die Grundstimmung
     im Haus dies zuzulassen schien, nötigte ich meinen Eltern ein Wiedergutmachungsgeschenk |15| für diesen Umzug in die unterstmögliche Etage des Hauses ab. Sie willigten ein. Bei »Tchibo« oder »Eduscho«, ich weiß nicht
     mehr genau, gab es – für damalige Verhältnisse, Anfang der Siebziger – winzig kleine Transistorradios, etwa so groß wie heute
     eine Big-Box-Schachtel Zigaretten, aus Plastik, gelb, in Form kleiner Koffer, mit einer kleinen Trageschlaufe aus Kunstleder,
     mono, versteht sich, mit seitlich eingebautem Lautsprecher, zwei Mignonzellen erforderlich. Sie kosteten fünfzehnneunzig oder
     neunzehnneunzig, eine absolut wahnsinnige Summe für mich, aber eine Sensation damals, soweit ich mich erinnere: Seit ich diese
     kleinen Radios im Fenster von »Tchibo« oder »Eduscho« und bei einigen meiner Klassenkameraden gesehen hatte, wollte ich um
     jeden Preis selbst so eins haben. Und ich bekam es. Meine Ersparnisse oder mein Taschengeld hätten bis an mein Lebensende
     nicht gereicht, aber irgendwie war es so, daß sich meine Eltern schuldig fühlten, schuldig wegen der Tatsache, daß es ein
     helles, gut belüftetes und nie benutztes Arbeitszimmer im Erdgeschoß unseres Hauses gab und daß der Filius in einem dunklen,
     muffigen und etwas feuchten Kellerraum
unter der Erde
wohnen mußte.

|16| 2. Red Skies Over Paradise
1994
    »Ich würde dich gerne behalten, Donny«, sagte Vögler. Sein Gesicht blieb dabei völlig ausdruckslos, aber mit seinem Mund geschah
     etwas, das doch irgendwie in Richtung grinsen ging.
    Heilige Scheiße. Der Konjunktiv fuhr mir tief ins
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