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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights
Autoren: Tom Liehr
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Gemächt.
Würde
. Hieß das …?
     
    Ich hatte das Büro von Vögler betreten, ohne vorher zu klopfen, das war Usus in der Station. »Rock on«, sagte ich zur Begrüßung,
     aber leise, denn er telefonierte gerade – seine Hauptbeschäftigung. Ich fläzte mich in den Chromledersessel, er nickte mir
     kurz zu, sah mich aber nicht an, drehte sich auf seinem Stuhl zur Seite und sprach weiter, ohne auf mich zu achten. Die Redaktionssitzung
     war vorbei, die Sendung erst in ein paar Stunden – ich hatte Zeit.
     
    Vöglers Schreibtisch quoll so sehr über vor Krempel, daß man nicht mehr erkennen konnte, was das für ein Fabrikat war oder
     woraus er bestand – Marmor oder Preßspan; zweiteres, meinte ich zu erinnern. In einer fragilen, undurchschaubaren Schichtung
     reichten die Papiere von der Tischplatte fast bis zum Boden, hielten aber aus irgendeinem Grund zusammen. Man mußte meinen,
     daß der Mann entweder ein Genie war oder ein Vollchaot.
    Auf dem flachen Couchtisch, um den eine kleine Sitzgruppe herum stand, sah es ähnlich aus. Sonst war sein Büro vergleichsweise
     spartanisch eingerichtet: zwei Regale, ein offenstehender Tresor, drei Plakate aus der aktuellen Werbekampagne, bei einem
     davon hing die rechte obere Ecke herunter, so daß nur ein Teil des Stationslogos zu sehen war. Erheblich zu große Electro-Voice-Sentry-III-Monitorboxen |17| an der Stirnwand, über die er den laufenden Produktionsbetrieb mithören konnte, waren die einzigen Einrichtungsgegenstände,
     die unter die Kategorie »Luxus« fielen.
     
    Vöglers Alter war mir nicht bekannt – er mochte achtunddreißig, vielleicht vierzig sein; seinen Geburtstag feierte er nicht,
     jedenfalls nicht mit uns – vielleicht war das eine der vielen Konventionen, auf die er schiß: Selbst Geschäftskunden stellte
     er sich als
Vögler wie ficken
vor. Er war dick, oder besser: stämmig, aber ohne kräftig zu sein, schwammig, fast plump, hatte weiche, irgendwie konturlose,
     fast maskenhafte Gesichtszüge – einer der Gründe, weswegen sich sein Alter schwer schätzen ließ. Wulstige, farbarme Lippen,
     helle Augenbrauen und dünnes, blond-brünettes Haar, das er sich wahrscheinlich immer noch bei dem Friseur schneiden ließ,
     zu dem ihn auch seine Mutter schon geschleppt hatte. Jedenfalls war das so eine Kinderfrisur, wenn von Frisur überhaupt die
     Rede sein konnte – seine Haare waren allerdings selten zu sehen, fast immer trug er das anthrazitfarbene Basecap mit dem Neandertaler,
     der eine E-Gitarre schwingt, einem
meiner
Sprüche – Rock on! – und dem Schriftzug
101.1 FM PowerRock Berlin
, der Radiostation in der großen Stadt.
     
    Ich drehte mich ein bißchen mit meinem Chromledersessel, stellte irgendwann die Plastikbox mit den CDs auf den Boden, die
     mir Lindsey für die Nachtsendung zum Aufjedenfallspielen gegeben hatte. Es war vier, drei nach vier; Vögler hatte eine große
     Atomuhr über der Eingangstür, so eine Bahnhofsuhr mit Langwellenempfänger, wie sie in fast jedem Raum der Station hing, sogar
     im Klo. Die genaue Zeit ist
ziemlich
wichtig für eine Radiostation, allerdings hatte Vögler nur selten mit dem aktuellen Programmbetrieb zu tun. Suszanna kam herein,
     unsere ungarischstämmige Stationsmutter, irgendwas an die Fünfzig, aber hübsch und solide gebaut, ein Engel von einem Menschen.
     Sie brachte mir dampfenden schwarzen Kaffee, in meiner Tasse, dem weißen Drittellitertopf |18| mit der Aufschrift
Radio People Do It With Frequency
, um den mich alle beneideten. Er stammte aus meinem reichen Fundus an Radio-Memorabilien; ein Freund von
Q105 Springfield
hatte ihn mir geschickt. Und das dazugehörige T-Shirt
und
den dazugehörigen großflächigen Aufkleber (auf meinem Alu-Plattenkoffer) und das dazugehörige Basecap. Merchandising ist enorm
     wichtig im Radiobereich, aber diejenigen, die am meisten auf diesen Krempel abfahren, sind die Radioleute selbst: Sie benutzen
     diesen Stoff, um dem Rest der Welt zu zeigen, daß sie beim Radio sind, mit Radio zu tun haben – schließlich kennt ja kaum
     einer ihre Gesichter. Was häufig günstiger ist, genaugenommen. Mike
das Mikro
, unser Morgenmann, sah aus wie die Kreuzung aus Maulesel und Unke – wenn man sein Gesicht betrachtete, konnte man zu der
     Meinung gelangen, das Wort Akne wäre einzig für ihn erfunden worden. Ansonsten war er ein Pfundskerl. Aber das half ihm bei
     den schwer enttäuschten weiblichen Fans auch nicht weiter. Seiner Stimme nach hätte er
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