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Radieschen von unten

Radieschen von unten

Titel: Radieschen von unten
Autoren: Frida Mey
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1.
    Das fing ja gut an. Elfriede Ruhland wischte sich verstohlen den Schweiß von der Stirn. Warum nur musste es bei Beerdigungen immer drückend heiß sein oder aus allen Kübeln regnen? Früher hatte ihr das nichts ausgemacht. Doch seit ihrem 60. Geburtstag litt sie an Wetterfühligkeit. Als sie die Trauerhalle betrat, liefen ihr bereits Schweißbäche den Rücken hinunter. Die schwarze Bluse klebte an ihrer Haut. Doch das vermochte Elfies Freude nicht zu schmälern. Sie liebte Beerdigungen. Diese gehörten zu ihrem Leben wie …, nun, wie der Tod.
    In der Aussegnungshalle bezog Elfie ihren Posten gleich neben dem Eingang. Von hier aus hatte sie einen wunderbaren Überblick. Die kahlen Wände waren mit Tüchern in verschiedenen Erdtönen dezent und geschmackvoll dekoriert. Die darunter platzierten Blumengestecke erregten dagegen Elfies Missfallen. Die Rosen sahen schon halb verwelkt aus, die Lilien ließen traurig die Köpfe hängen – wie unpassend für eine Beerdigung. So etwas durfte einfach nicht passieren, auch wenn sicher die für September extreme Hitze daran schuld war.
    Der Sarg wiederum gefiel Elfie. Er sah schlicht und schön aus und war von großen, massiven Kerzenleuchtern stilvoll umrahmt – vier auf jeder Seite. Aber warum brannten die Kerzen nicht? Hatte man vergessen, sie anzuzünden? Elfieschüttelte missbilligend den Kopf. Die Trauergäste erhoben sich. Ein alter Mann, offenbar der Witwer, umklammerte mit beiden Händen einen glänzenden Gegenstand. Als er an Elfie vorbeiging, sah sie, dass es sich um eine Totenmaske aus Bronze handelte. So etwas war früher hochgestellten Persönlichkeiten vorbehalten gewesen. Automatisch griff Elfie nach ihrem Medaillon mit dem Foto von Ludwig, dachte an die Wärme in seinen Augen, an sein Lachen, auch an die gewisse Melancholie in seinen Gesichtszügen. Ob eine Totenmaske ebensolche Erinnerungen wecken konnte?
    Elfie folgte dem Trauerzug bis zum Grab. Während der Sarg hinabgelassen wurde, studierte sie die Inschriften auf den Kränzen. Sie musste schmunzeln, als sie auf einer Schleife das Foto eines drolligen Hundes sah, unter dem stand: Auch Fifi vergisst Dich nicht. Elfie schaute sich um, doch konnte sie Fifi in natura nirgendwo entdecken. Anscheinend musste er während Frauchens Beerdigung zu Hause bleiben.
    Wie üblich trat Elfie als Letzte an das Grab und hob die Hand, um ihre schwarze Rose zu werfen. Sie zuckte vor Schreck zusammen, als sie auf ihre leere Hand sah. Sie hatte die Rose vergessen! Als ihr Blick auf das Sterbebild und den Namen der Toten fiel, beruhigte sich Elfie wieder. Für einen Moment war ihr tatsächlich entfallen, dass sie die Frau überhaupt nicht kannte und diese Beerdigung gar nicht auf ihr Konto ging. Erleichtert nahm sie die Schaufel, warf etwas Erde auf den Sarg und besann sich darauf, warum sie hier war.
    Elfie stand neben dem schwarz glänzenden Leichenwagen der Firma Pietas auf dem Parkplatz vor der Trauerhalle. Siesah zu, wie die Bestatterin sich von den Angehörigen verabschiedete, die Hand des sichtlich mitgenommenen trauernden Witwers, den sie um Haupteslänge überragte, mit beiden Händen umfasste und ihm wohl ein paar tröstende Worte zukommen ließ.
    Dann kam Juliane Knörringer auf Elfie zu. Sie setzte die Füße ein wenig nach außen, was ihrem Gang zwar etwas Anmutiges, aber auch sehr Gestelztes verlieh. Sie trug einen tiefschwarzen Hosenanzug, der in scharfem Kontrast zu ihren zu blond gefärbten Haaren stand. Wie alt mochte sie sein? Vielleicht Anfang fünfzig, auf jeden Fall deutlich älter als Carlos Knörringer, mit dem Elfie bisher ausschließlich zu tun gehabt hatte. Für Elfies Geschmack war sie entschieden zu stark geschminkt. Ein wenig übertrieben diese falschen kohlschwarzen Wimpern, vor allem wenn man dagegen die verweinten Augen vieler Angehöriger betrachtete.
    »Besten Dank noch einmal, dass Sie eingesprungen sind und uns so spontan aus der Klemme geholfen haben, Frau Ruhberg.« Die Bestatterin nahm Elfie das Kondolenzbuch ab und öffnete ihr die Beifahrertür.
    »Mein Name ist Ruhland, Elfie Ruhland«, verbesserte Elfie freundlich, und Juliane Knörringer lächelte entschuldigend.
    Ein etwas falsches Lächeln, dachte Elfie, lächelte aber ebenfalls, um dann fortzufahren: »Die Betreuung des Kondolenzbuches habe ich gern übernommen. Ich liebe Beerdigungen, auch wenn die Witterungsbedingungen mitunter recht anstrengend sind.«
    Zum Glück hatte der Wagen im Schatten gestanden, so dass die
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