Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radieschen von unten

Radieschen von unten

Titel: Radieschen von unten
Autoren: Frida Mey
Vom Netzwerk:
Innentemperatur einigermaßen erträglich war. Dank der Klimaanlage war es nach wenigen Minuten sogar so kühl, dass Elfie in ihrer durchgeschwitzten Bluse zu fröstelnanfing. In einem Leichenwagen war sie noch nie gefahren, und sie sah sich neugierig um. Die Scheiben waren dunkel getönt, und die Heckscheiben hatten kleine Gardinen.
    Nach einigen Minuten waren sie beim Beerdigungsinstitut angekommen. Der zweistöckige Altbau mit der steinernen Vorhalle auf vier dicken Säulen hatte sie bereits bei ihrem Vorstellungsgespräch vergangene Woche beeindruckt. Durch den leuchtend weißen Anstrich wirkte das Gebäude licht und hell, was eigentlich nicht recht zu einem Bestattungsunternehmen passte. Über der schweren bronzenen Eingangstür prangte in mattgoldenen Lettern der Schriftzug Pietas .
    Elfie folgte Juliane Knörringer ein paar Stufen hinauf ins Beerdigungsinstitut und in den riesigen Empfangsraum, der durch seinen Marmorboden kühl wirkte. Auch die in Blauund Grüntönen gehaltenen Jugendstilfenster unterstrichen diesen Eindruck. Leise Musik, eine Instrumentalversion von Schuberts »Ave Maria« , erklang von irgendwoher. In der Halle waren mehrere Särge repräsentativ angeordnet. Ausstellungsstücke aus edlen Hölzern oder mit besonders dekorativer Innenausstattung, dazwischen als Raumteiler üppige Grünpflanzen und schlichte Regale, in denen Urnen in den verschiedensten Formen, Farben und Materialien standen. An den weißen Wänden hingen Kreuze in allen Variationen, aus Holz, aus Metall, aus Gips, mit und ohne Corpus.
    Mitten in diesem Empfangsraum stand ein junges Mädchen – sicher die Auszubildende – im Gespräch mit einer Kundin. Das Mädchen, in einem langen schwarzen Rock und mit einer Fransenstola um die mageren Schultern, redete intensiv auf die andere Frau ein. Um den Hals baumelte ein Paar Kopfhörer, aus denen Heavy-Metal-Klänge gegendas »Ave Maria« anquäkten. Bei näherem Hinsehen bemerkte Elfie, dass das Mädchen einige Piercings hatte: Augenbrauen, Nasenflügel und Lippen waren mit kleinen silbernen Ringen versehen, und im linken Ohr steckte ein dreieckiges Tunnel-Piercing. Elfie hatte erst kürzlich eine Fernsehsendung über die Gletschermumie Ötzi und ihre gedehnten Ohrlöcher gesehen. 3000 Jahre vor Christus war das schon einmal modern gewesen. Elfie sah sich die Verzierungen interessiert an. Ob so etwas wohl wehtat, wenn man sprach oder lachte?
    »Ich übernehme das Gespräch, Frau Weiss«, erklärte Juliane Knörringer ihrer Angestellten.
    Schwarz würde besser passen, dachte Elfie.
    Während das junge Mädchen am anderen Ende der Halle hinter einer Tür verschwand, wandte sich die Bestatterin Elfie zu: »Bitte, Frau Ruhland, setzen Sie sich doch so lange in mein Büro, bis ich mit dem Gespräch fertig bin.«
    Sie ging in den Flur, öffnete die Milchglastür zum gegenüberliegenden Raum, in dem auch das Vorstellungsgespräch mit Herrn Knörringer stattgefunden hatte und der von zwei großen gläsernen Schreibtischen dominiert wurde. Die Stuckdecke, ein achtarmiger Kristallleuchter und ein paar zierliche Biedermeiermöbel wirkten elegant, aber unaufdringlich.
    Schön, diese Geräumigkeit. Elfie freute sich auf ein luftiges Büro mit reichlich Ablagemöglichkeiten für die Vorbereitung der Unterlagen bei der Steuerprüfung. Sie verharrte ein wenig unschlüssig an der Tür, die einen Spalt offen stand. Zum einen hatte Juliane Knörringer ihr keinen Platz angeboten. Zum anderen konnte Elfie von hier aus dem Verkaufsgespräch gut folgen.
    »Sie haben also Ihre Mutter verloren. Mein aufrichtigesBeileid.« Die Bestatterin flötete zwar in den höchsten Tönen, aber echte Anteilnahme klang anders. »Haben Sie schon Vorstellungen, wie Sie Ihre Mutter bestattet haben möchten? Sicher soll es doch ein würdiger Rahmen sein. Dazu gehören natürlich ausgesuchte Produkte in Bezug auf den Sarg und das Zubehör.«
    Bei dem Wort Sarg begann die Frau zu weinen.
    »Nun, nun«, meinte Juliane Knörringer, »ich verstehe schon, dass das alles nicht einfach für Sie ist.«
    Statt Verständnis meinte Elfie jedoch eher Ungeduld herauszuhören.
    »Erst gestern wurde ein besonders schönes Stück geliefert, aus Kirschbaumholz.« Juliane Knörringer drehte sich um und wies auf einen Sarg hinter sich. »Nicht ganz billig, aber für eine Mutter kann einem ja nichts zu teuer sein. Gerade unsere Mütter haben ja immer alles für uns getan.«
    Die Frau strich über das rötliche Holz, ihre Stimme wurde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher