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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
Autoren: Gabi Kreslehner
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Geborgenheit, einer wie er trug diese Geborgenheit in sich, einer wie er …
    Und endlich riss sie ihren Blick los von den Riesenschuhen und den ebenso großen Füßen darin und sie wandte sich dem ganzen Mann zu und wollte ihn fragen … ja … fragen … ja … was … und plötzlich stand er auf und ging und sie starrte ihm hinterher und hatte nicht einmal sein Gesicht gesehen, kannte nichts von ihm, sah nur seine Füße ganz klar vor sich, seine Füße, die standen im Leben auf sicherem Boden, wie Berge, wie Hügel zumindest, sie wollte nicht übertreiben, aber doch … ja … aber doch.
    Endlich schloss Lilli den Mund, in dem noch immer die Frage lag, die sie nicht gestellt hatte, die sie nicht einmal in Gedanken formuliert hatte, diese Frage, die nun irgendwo im Nirwana ihres Gehirns verpuffte. Bescheuert, dachte sie, was bin ich bescheuert. Aber muss auch sein, dachte sie und seufzte zufrieden, muss auch manchmal sein, und grinste und dann kam die Durchsage, dass der Flug Verspätung habe, ganze eineinhalb Stunden.
    2 Sie ist schon immer so gewesen, dachte Gertrud, diesen Hochmut hatte sie schon als Kind, und ich weiß ja, von wem sie ihn hat.
    Sie blickte auf die Uhr, dann auf die Tafel, die die Flugzeuge anzeigte, die gelandeten und die nichtgelandeten, dann wieder auf die Uhr.
    Sie hätte sich melden können, dachte Gertrud, es wäre Zeit gewesen, von London aus eine SMS zu schicken. Ich hätte mich nicht so hetzen müssen.
    Na gut, dachte Gertrud, noch eineinhalb Stunden. Saumäßige Verspätung. Kaffee also.
    Sie drehte sich um und schlenderte in das Rund der riesigen Halle, setzte sich in ein Bistro und bestellte Kaffee. Ach Lilli, dachte sie, du kleine Kröte, wie hab ich dich lieb. Wie hab ich dich vermisst. Werde ich dir die Wahrheit sagen müssen? Ist es nun so weit?
    Sie rührte im Kaffee, schaute in die schwarzen Schlieren, ließ Zucker einrieseln. Augenblicklich waren die letzten Tage da. Was geschehen war. Vor einer Woche. Einer Woche bloß. Sie hatte sofort geahnt, dass die Welt sich nun anders drehen würde, als sie es für gewöhnlich tat. Schneller. Und in die falsche Richtung. Zurück. In die Vergangenheit. Wo keiner hinwollte. Gertrud zumindest nicht. Nein, sie nicht. Auf keinen Fall. Gab keinen verfluchten Grund für die verfluchte Vergangenheit. Aber das sah er anders. Dieser Mann. Der plötzlich da gewesen war.
    »Ich bin Tonio«, hatte er gesagt und gelächelt. »Und Sie sind Gertrud. Verzeihen Sie, wenn ich Sie erschrecke, ich weiß ja, dass ich meinem Vater sehr ähnlich sehe.«
    Dann erzählte er diesen Mist, dass er beobachtet hätte, wie sie durch die Allee kam, die zu ihrem Haus führte, dass er sie im Stillen gebeten hätte, stehen zu bleiben. Dass er gedacht hätte: Bleib stehen! Warte auf mich. Dreh dich um! Und sie sei tatsächlich stehen geblieben. Und er sei losgegangen. Auf sie zu. Wie von Fäden gezogen.
    Sie schüttelte heftig den Kopf, holte sich zurück in die Gegenwart, spürte, dass sie zitterte. Wenn die jüngere Vergangenheit sie schon so maßlos erschreckte, was erst, wenn es weiter zurückging, und das wäre wohl der Fall, das ahnte sie, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
    »Darf ich Ihnen noch was bringen?«
    Sie fuhr herum, ihr Blick fiel auf die riesige Uhr, die über dem Tresen hing. Spät geworden. Zeit übersehen. Die Maschine aus London musste nun doch schon angekommen sein, das Förderband mit dem Gepäck würde schon laufen.
    »Nein, danke. Ich möchte zahlen.« Sie schaute den Kellner an, merkte, dass er auf den Tisch starrte, in ihre Kaffeetasse. »Aber sie haben ja gar nicht …«
    Er deutete auf den Kaffee, der vor ihr stand, wie er ihn gebracht hatte, lediglich kalt geworden. Sie winkte ab, drückte ihm einen Fünf-Euro-Schein in die Hand, wartete seine Erwiderung nicht ab, ging. Er blickte ihr hinterher, schüttelte den Kopf, zog die Augenbrauen hoch.
    Sie tauchte ein in das Getümmel der Ankommenden und Abfliegenden, der Abholer und Abgeholten, fiel in einen hastigen Laufschritt, das Stimmengewirr vermengte sich zu einem gleichmäßigen Summen. Jetzt komm ich doch noch zu spät, dachte sie und musste schmunzeln, sie wird schon auf mich warten und mich missbilligend mustern. Ich werde sie in den Arm nehmen und fest an mich drücken und anfangs werde ich ihren Widerstand spüren und dann allmählich, wie er sich löst.
    Ja, Gertrud kam zu spät. Ein wenig. Lilli war schon durch die Schleuse. Lilli wartete schon. Und stand da.
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