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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
Autoren: Gabi Kreslehner
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aber doch klar genug, dass Lilli sie als Abgrund erkannte.
    Sie dachte daran, wie ihre Hand den Flakon umschlossen hatte, wie sie gespürt hatte, dass der spitze Verschluss in ihre Handfläche stach, wie die Kühle sich in eine matte Wärme verwandelte, aber die Wärme war in ihren Fingern nicht angekommen.
    Auch jetzt fror sie, fröstelnd zog sie den Mantel um sich, der dunkelviolette Samt war eigentlich zu warm für die Jahreszeit, für die Wärme des frühen Septembernachmittags, aber sie fror leicht und sie liebte diesen Mantel, liebte seine geraden Linien, die in der sanften Weichheit des Samtes so mild wurden und alle Strenge verloren. Sie hatte den Mantel am Ende des Londonsommers in Soho entdeckt, im winzigen Laden eines noch unbekannten Designers, sie hatte ihr Gesicht auf den Ärmel gelegt, in den Samt, und war augenblicklich versunken in dieser Weichheit, in dieser dunkelvioletten Geborgenheit, und hatte gewusst, sie musste ihn haben, diesen Mantel, koste es, was es wolle. Es hatte dann nicht sooo viel gekostet, eine kleine Stange Geld jedoch allemal, aber das machte nichts, denn sie ahnte, sie würde ihn tragen, bis er ihr in Fetzen vom Leibe fiel.
    Es gab noch dies und das in dem Laden, vor allem aber gab es den Designer himself , der, als er Lilli sah, einen eigenartig verzückten Blick bekam, dessen Hingerissenheit sie nachempfinden konnte, weil sie sie selber für den Mantel fühlte.
    Ob sie bleibe, ihm Muse sei, ihre Gesichtszüge, ihr Haar, ihr Körper, ihre Beine, ohhhhh … alles sei sooooo … ohhhh … ob sie bleibe … your name, miss ?
    Sie lächelte ein bisschen stolz, ein bisschen verwirrt, gab vor, ihn nicht zu verstehen, sie sei Touristin und very bad in english .
    Als sie den Laden endlich verließ, hatte er sie noch in ein Paar Stiefel gesteckt, dunkles Grau, weicher Velours, hohe Absätze, Overknees. Sie saßen so gut und so leicht, sie ging, als flöge sie, und als sie sich noch einmal umwandte, stand der Designer in der Tür, verneigte sich, hob die Hände wie zum Applaus und rief ihr hinterher: » Stay! Please! Stay! Come back, my dear! «
    Lilli lachte und begann zu laufen und winkte ihm zu mit der Vehemenz des Glücks, manchmal sprang sie in die Höhe, ahnend, dass unter ihr die Erde sich drehte, unaufhaltsam, ein ums andere Mal, dass das Leben pochte und sie mittendrin war.
    Daheim in ihrem winzigen Apartment drehte sie sich vor dem Spiegel hin und her und staunte. Dachte: Wow! Welche Eleganz! Wenn er mich so sähe in der Kanzlei, Mr Greenow, er würde sich verneigen und sagen: » My dear, you’re the best! « und es ausnahmsweise auch tatsächlich meinen.
    Am Abend dieses Tages wusste sie zum ersten Mal mit Gewissheit, dass sie nicht Anwältin werden würde, und eine kleine Zufriedenheit kroch in ihr hoch und Freude darüber, dass sie bald nach Hause flog.
    Das Praktikum war gut gewesen. Die Stadt aber noch besser. Riesig. Laut. Glitzernd. London eben. Sie war eingetaucht in das Leben dieser Stadt, in seine Fremdheit, seine Freiheit und hatte sich wohl gefühlt. Drei Monate. Die nicht lang gewesen waren, wie kleine Stippvisiten, jeden Morgen das dunkle Schimmern des Kaffees, den sie Mr Greenow ins Büro brachte, was er ihr seufzend lächelnd dankte mit dem immergleichen Satz, »You’re the best, my dear« , und dann begann der Tag.
    Mr Greenow war ein Studienkollege ihres Großvaters und dieser Tatsache hatte sie das Praktikum zu verdanken, diese drei Monate in seiner Kanzlei, wo große Fälle abgewickelt wurden, wichtige Fälle, Steuerdinge, Wirtschaftsgeschichten, Mordsachen, alles eben, was Anwaltstage vielseitig und eindrucksvoll machte.
    Lächelnd hatte sie an den Verhandlungen teilgenommen, hatte neben den taffen, jungen Anwälten gesessen, Männern wie Frauen, Tiger allesamt, hatte ihre sicheren Stimmen gehört und jeden Morgen jenes milde »You’re the best, my dear « , und von Tag zu Tag mehr gespürt, dass all das … nichts, aber auch gar nichts mit ihr zu tun hatte.
    Es machte sie nicht traurig, im Gegenteil, es machte sie sicher, und das erstaunte sie, denn die Konsequenz war bitter, bedeutete verlorene Zeit, drei Jahre, die sich in Rauch und Grau auflösten. Verbranntes Studium, dachte sie, während sie in der Abflughalle des Londoner Flughafens saß und noch ein wenig an Mr Greenow dachte, der seinen Satz nun wieder zu jemand anderem sagen würde.
    Doch, das Praktikum war gut gewesen, aber die Stadt eben noch besser, und sie würde ihrem Großvater sagen,
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