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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
Autoren: Gabi Kreslehner
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1 Sie blickte auf die Uhr. Zwei Stunden bis zum Abflug. Genügend Zeit. Wunderbar viel Zeit. Ob sie doch …?
    Sie hatte die Fläschchen leuchten sehen, vorhin, als sie am Laden vorbeigegangen war, nur vorbei, nicht hinein, flüchtig hatten ihre Blicke die Regale gestreift, sie hatte sich nicht erlaubt stehen zu bleiben, nicht erlaubt, ihrer Sehnsucht nachzugeben. Aber nun begann ihr Herz schneller zu klopfen, sie schloss die Augen, um es intensiver zu fühlen, konzentrierter. Sie mochte es. Dieses Gefühl. Dieses Prickeln. Die beginnende Erregung. Ihr wurde heiß und zugleich kalt, sie vergaß jede Angst, mit jeder Faser ihres Herzens zog es sie in den Laden, zwischen die Regale, zwischen die Düfte, in die Stille der Glitzerfläschchen.
    Kurz stand sie noch da, spannte all ihre Sinne an. Horchte. Schaute. Witterte. Streckte endlich die Hand aus.
    Und liebte es. Auf der Stelle. Wie immer. Dieses Gefühl. Dieses Prickeln. Die Kühle des Flakons, die wie eine rasche Welle durch ihre Finger lief, sobald sie ihn berührte, die ihre Hände durchdrang und sich in ihre Haut brannte wie etwas von Bestand.
    Darum nur tat sie es. Tat es immer wieder, nicht zu oft, aber doch … immer wieder, wenn das Glitzern der Flakons ihr mild in die Augen funkelte, wenn das Glitzern der Flakons sachte ihr Herz berührte, wenn es sagte und flüsterte und hauchte: Ich bin eine Möglichkeit. Dann … tat sie es.
    Schaute sich um, witterte wie ein Tier, Augen wach, Ohren hell, Herz im Sturm, sog ein, was es einzusaugen gab … Stimmen, Bewegung in den Gängen, Blicke, die sie streiften … gefahrgefahrgefahr … und wenn ihr Herz sich beruhigte, wenn sein Schlag sich normalisierte, dann griff sie zu, dann schlug sie eine Bresche in die unberührten Reihen der Flakons, dann war sie Tigerin, Löwin, ein Raubtier auf der Jagd, hinter einem Duft her, einem, den sie aus ihrer Kindheit zu kennen glaubte, der ihr abhandengekommen war, gänzlich und verzweifelt abhandengekommen in den Jahren, als sie erwachsen geworden war, in den Jahren, als die Sicherheiten noch immer nicht sicher schienen und sie hineingefallen war in ein Suchen und immer noch nicht angekommen.
    Später, in der Ruhe der Toilette, öffnete sie mit zitternden Fingern das Fläschchen und ließ seinen Duft verströmen und augenblicklich … verlor es seinen Zauber, verlor es die Magie, die noch kurz zuvor ihr Herz zum Jubeln gebracht hatte. Kein Duft des Erinnerns, keiner, nie.
    Die Enttäuschung war milder geworden mit der Zeit, erfahrener und abgeklärter, aber blieb niemals aus, zwängte sich in ihre Erinnerung als schaler Geschmack, als Missverständnis.
    Sie ging.
    Immer ging sie dann rasch, fiel ins Laufen, hatte noch kurz das Bild des Flakons vor den Augen, der im Müll gelandet war und mühsam versuchte, noch ein wenig zu glitzern, ein wenig zu sprühen, jedoch inmitten von Zigarettenkippen, angebissenen Wurstbrötchen, Apfelbutzen und geknackten Coladosen erlosch.
    Manchmal stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn jemand sie entdeckte auf einem ihrer Gespensterzüge, wenn jemand auf sie zukäme mit raschen Schritten und entschlossenen Blicken. Sie wusste, sie würde sich wehren. Endlich würde sich auszahlen, was sie gelernt hatte in den Selbstverteidigungskursen im Sportunterricht, zielsicher würde sie mit ihrem spitzen Schuh im Schritt des Angreifers landen, in den Weichteilen dort, die lediglich geschützt waren durch ein bisschen Stoff und also wehrlos ausgeliefert der Spitze eines Schuhs und seiner verheerenden Wirkung.
    Lilli fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, wenn ihr Schuh an dieser Stelle landete, sie fragte sich, ob der Schrei jenes unglücklichen Flakonwächters ihr mit der gleichen Vehemenz in die Eingeweide fahren würde wie ihm der Schmerz.
    Sie wusste, spätestens dann würde sie loslaufen, trotz der Schmerzen, die sie und ihn durchzuckten. Nein, keiner sollte sie ihr entreißen, die Glitzerfläschchen, die Kühlespender, die Trophäen ihrer Unerschrockenheit.
    Lilli lächelte zittrig und atmete tief durch. Und dachte an den Flakon im Müll auf der Toilette und lehnte sich zurück und starrte auf die Anzeige auf dem Bildschirm, der ihren Flug ankündigte und dass bald boarding time war und dass sie in ein paar Stunden daheim sein würde, daheim, was immer das war.
    Sie lächelte ein wenig verloren, ein wenig erschrocken über die Gedanken, die manchmal in ihr flatterten wie schwarze Vögel, wie Gespenster, vage und durchscheinend wie Schatten,
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