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Raban, der Held

Raban, der Held

Titel: Raban, der Held
Autoren: Joachim Masannek
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Fußball-Legenden-Suchen spielen? Die haben sich doch bestimmt wie Ostereier auf dem Rasen versteckt!“
    Ich wurde knallrot und blitzte ihn an, doch ich war vor Scham schon ganz heiser. Ich brachte keinen Ton heraus, und deshalb setzte ich mich abseits von den anderen einfach nur auf die Bank.
    Dort wartete ich, und die nächsten zwei Stunden wurden zur Ewigkeit. Immer wieder zerschnitten die spöttischen Bemerkungen der anderen Wilden Kerle die Stille und holten mich aus meinen Träumen heraus. Schließlich saß ich nur noch da auf der Bank und brütete dumpf vor mich hin. ‚Hör einfach nicht hin! Hör einfach nicht hin!’, schärfte ich mir jedes Mal ein, doch das wollte und wollte nicht klappen. Jede ihrer Bemerkungen traf mich wie ein Messerstich mitten ins Herz. Das Einzige, was mich jetzt noch ausharren ließ, waren Willis Worte am Abend nach der geplatzten Weihnachtsrodelparty: „Und wenn schon? Was macht dir das denn aus? Du bist die Eiche im Wind. Du glaubst daran, was wir sind. Ohne dich würde es die Wilden Kerle nicht geben.“
    Dann schlug es Zwölf, und ich sprang sofort auf. Auch die anderen Wilden Kerle erhoben sich von den Plätzen. Um uns herum in der Stadt begann das Silvesterfeuerwerk. Knaller krachten, pfiffen und röhrten, und Raketen zischten in den Himmel hinauf, wo sie in funkelnden Farben zerplatzten. Doch die Flutlichtanlage blieb aus. Es rührte sich nichts, und während sich die Menschen überall auf der Welt umarmten und einander alles Glück wünschten, das es nur gab, schüttelten meine Freunde den Kopf. Sie grinsten verlegen und spuckten abfällig aus.
    „Los, lasst uns hier abhauen!“, sagte Leon genervt. Doch Fabi zögerte noch, traute sich schließlich und schaute zu mir herüber: „Was ist mit dir? Kommst du mit, oder nicht?“
    Ich wollte nicken. Ich wollte aufspringen und zu ihnen laufen. So erleichtert war ich, dass wenigstens Fabi endlich wieder mit mir sprach. Doch irgendwas hielt mich fest. Ich konnte mich weder bewegen, noch konnte ich etwas sagen. Da verloren die anderen die Geduld.
    „Was soll denn das, Fabi?“
    „Was willst du von dem Spinner?“
    „Soll der Trottel doch hier bleiben, wenn er unbedingt will.“
    Fabi schaute mich noch ein letztes Mal an. Dann drehte er sich um und folgte den andern.
    Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Ich wollte nicht, dass jemand sah, wie ich weinte. Ich wollte es selbst nicht sehen.
    Ich konnte das jetzt nicht ertragen.

    Dann hörte ich Schritte direkt hinter mir, und dann hörte ich meine Mutter.
    „Du weißt gar nicht, wie peinlich das war!“, sagte sie tonlos und kalt. „Ich wünschte, ich hätte das niemals gesehen.“
    Dann ging sie an mir vorbei. Ich blieb sitzen, doch nach zehn endlosen Schritten drehte sie sich noch einmal um.
    „Komm jetzt! Wir gehen nach Hause.“

Potzblitz und Donnergeist!
    Ich lief meiner Mutter hinterher wie ein Küken dem erstbesten Lebewesen, das es nach dem Schlüpfen sieht. Ja, und ich denke, meine Mutter fühlte nicht anders. Sie war der Schwan, und ich war das Kuckucksei, das man ihr ins Nest gelegt hatte. Ja, und ich konnte ihr diese Gedanken auch nicht verübeln. Ich hatte mich wirklich und absolut bloßgestellt. Wie konnte man mit neuneinhalb Jahren und bei gesundem Verstand nur daran glauben, dass es ein Fußballorakel in Wirklichkeit gab? Auch wenn das nur alle 24 Jahre stattfinden sollte?
    Ich musste mich damit abfinden, kostete es, was es wollte. Und ich musste mit dem leben, was in Zukunft passiert. Was unausweichlich war und nicht zu verhindern. Ich musste damit leben, dass ich kein Wilder Kerl war und dass es schon bald nach mir jeden anderen der Wilden Kerle erwischte.
    Da sirrte es in der Luft. Ich blieb stehen und ich roch die Elektrizität. Funken sprühten wie Sternschnuppen am Stadionhimmel, und dann flammten die Flutlichtscheinwerfer auf. Ich war geblendet, so hell waren sie. Und als ich wieder sehen konnte, war der Rasen gemäht.
    Es war der beste Rasen der Welt, und über ihn kamen jetzt, als befänden wir uns im Hochsommer bei einer Weltmeisterschaft, majestätische Gestalten in majestätischen Trikots direkt auf mich zu.

    Da waren die Weltmeister von 1974 in Deutschland: Gerd Müller, der Bomber der Nation, die Mittelfeldstars Paul Breitner, Wolfgang Overath, und Günther Netzer. Da war Sepp Meier im Tor, Grabowski, Uli Hoeneß im Sturm, und in der Mitte von ihnen ging der Kaiser persönlich. Franz Beckenbauer kam zu mir, zu Raban dem Helden, und reichte
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