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Qual

Qual

Titel: Qual
Autoren: Greg Egan
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die Menschen zunächst befürchtet, daß die Vermischung alles zur Uniformität drängen würde. Doch es war nicht geschehen – genausowenig wie die grausamen, unausweichlichen Wahrheiten, daß Wasser naß und der Himmel blau war, im Zeitalter der Ignoranz dazu geführt hatten, daß alle Menschen identisch gedacht und gehandelt hatten. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, auf die einfache Wahrheit der UT zu reagieren. Unmöglich ist nur die Illusion geworden, daß jede Kultur ihre eigene Realität erschaffen konnte – obwohl wir alle dieselbe Luft atmen und auf demselben Boden wandeln.
    De Groot konsultiert vor ihrem inneren Auge irgendeinen Plan. »Bist du direkt von Stateless gekommen?«
    »Nein, aus Malawi. Ich mußte dort jemanden treffen. Ich wollte auf Wiedersehen sagen.«
    Wir steigen zur U-Bahn hinunter, wo der Zug bereits auf uns wartet und für unsere Augen einen leuchtenden Pfad zu einer Tür markiert. Es ist fast fünfzehn Jahre her, seit ich das letzte Mal in dieser Stadt war. Der größte Teil der Infrastruktur hat sich verändert, und in dieser unvertrauten Umgebung spiegelt sich die UT auf jeder Oberfläche – wie ein überschwengliches Kind, das mit den schönen neuen Dingen prahlt, die es gemacht hat. Selbst die einfachsten Neuheiten – der rutschfeste, schmutzresistente Belag der Bodenfliesen und die leuchtenden Pigmente der lebenden Skulpturen – erregen meine Aufmerksamkeit, während sie ihre einzigartigen Möglichkeiten der Koexistenz demonstrieren.
    Nichts ist unverständlich. Nichts könnte mit Magie verwechselt werden.
    Ich sage: »Als ich zum ersten Mal hörte, daß man den Violet-Mosala-Gedächtnis- Kindergarten bauen will, dachte ich, daß sie beleidigt gewesen wäre. Was erneut beweist, wie wenig ich über sie weiß. Ich weiß nicht einmal, warum ich eingeladen wurde.«
    De Groot lacht. »Ich bin froh, daß du nicht ausschließlich wegen der Zeremonie den weiten Weg auf dich genommen hast. Du hättest über das Net anwesend sein können. Niemand hätte sich daran gestört.«
    »Es geht nichts über persönliche Anwesenheit.«
    Der Zug erinnert uns daran, daß wir aussteigen müssen, und hält für uns die Türen offen. Wir spazieren durch die ordentlichen Vorstädte, nicht weit vom Haus entfernt, in dem Mosala ihre Kindheit verbrachte, obwohl an den Straßenrändern Pflanzenarten wachsen, die ihr völlig unbekannt gewesen wären. Allerdings hat sie auch auf Stateless niemals Bäume wachsen sehen. Menschen begegnen uns, die zur eleganten Logik des wolkenlosen blauen Himmels aufblicken.
    Der Kindergarten ist ein kleines Gebäude, das zu diesem Anlaß zu einem Auditorium rekonfiguriert wurde. Ein halbes Dutzend Redner ist eingetroffen, um zu den fünfzig Kindern zu sprechen. Ich gebe mich Tagträumereien hin, bis eine von Violets Enkeltöchtern, die in der Halcyon arbeitet, den Antrieb des Raumschiffs erläutert. Das Grundkonzept, das sich eng an die UT hält, ist einfach zu verstehen. Karin De Groot spricht über Violet und gibt Anekdoten über ihre Großzügigkeit und Unnachgiebigkeit zum Besten. Dann bereitet ein Kind die Bühne für mich, indem es den anderen vom Zeitalter der Ignoranz erzählt.
    »Es hängt wie ein Stalaktit von der Decke des Informationskosmos.« Die Gegenwartsform ist eine Spitzfindigkeit, keine Nachlässigkeit, weil es die Relativität so verlangt. »Es ist nicht autonom, es erklärt sich nicht selbst, sondern es muß mit dem Informationskosmos verbunden werden, um existieren zu können. Doch wir brauchen es auch. Es ist notwendige Geschichte, eine logische Konsequenz, wenn man die Zeit über den Aleph-Moment hinaus erweitern will.«
    Das Kind zaubert anschauliche Diagramme und Gleichungen in die Luft. Der strahlende Sternhaufen des Informationskosmos, der dicht in Fäden der Erklärung eingesponnen ist, trägt den tristen Kegel des Zeitalters der Ignoranz, dessen Spitze im physikalischen Urknall ausläuft. Das Publikum aus nicht so frühreifen Vierjährigen scheint Schwierigkeiten mit dieser Vorstellung zu haben. Zeit vor dem Aleph-Moment? Ungeachtet der Existenz von Großeltern läßt es sie beinahe an ihrem Glauben zweifeln.
    Ich erhebe mich und trage meine vorbereitete Version der Ereignisse vor fünfzig Jahren vor. Die ungläubigen Lacher kommen an genau den richtigen Stellen. Eigentum an Genen? Zentrale Regierungen? Ignoranzkulte?
    Alte Geschichte hat immer etwas Malerisches, wenn die Triumphe plötzlich wie vorherbestimmt erscheinen, aber ich gebe mir
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