Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Qual

Qual

Titel: Qual
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
Zukunft werden wir dieses Schlupfloch erweitern. Und wir werden keine grausamen Maschinen mehr sein, keine simplen physikalischen Existenzen… solange weiterhin die Hoffnung auf Transzendenz besteht.«
    Ich ließ mir nichts anmerken. Die Musik wurde lauter. Die zwei großen Polynesierinnen – Mitglieder der Miliz? – die sich von hinten angeschlichen hatten, hoben ihre Knüppel und schlugen gleichzeitig zu. Sarah klappte zusammen.
    Eine der Frauen ging in die Knie, um die Bewußtlose zu inspizieren, während die andere mich neugierig musterte. »Was war mit ihr los?«
    »Sie war mit irgendwas high.« Akili kam neben mir auf die Beine.
    »Sie kam und redete wirres Zeug«, sagte ich. »Sie hat hein Notepad gestohlen. Wir konnten uns keinen Reim darauf machen.«
    »Ist das wahr?«
    Akili nickte widerspruchslos. Die Milizionärinnen blieben mißtrauisch. Sie beschlagnahmten die Waffe – mit offensichtlichem Widerwillen – und gaben Akili das Notepad zurück. »Gut. Wir werden sie ins Erste-Hilfe-Zelt bringen. Manche Leute wissen einfach nicht, wie man ohne Reue Spaß haben kann.«
     
    »Wir sollten Mosalas Programm neu starten und die UT über das Net versenden.« Akili saß angespannt und ungeduldig neben mir, während hie das Notepad in einer Hand hielt.
    Ich bemühte mich, meine Gedanken zu konzentrieren. Die Situation überschattete alles, was zwischen uns vorgefallen war – aber ich konnte hie immer noch nicht in die Augen sehen. Akilis Datenmaulwurf hatte bereits über hundert neue Fälle von Qual innerhalb der letzten fünf Minuten gezählt – und das waren nur die Medienberichte über Menschen, die auf der Straße zusammengebrochen waren.
    »Wir dürfen sie nicht wahllos verstreuen«, sagte ich. »Nicht bevor wir wissen, ob wir es damit schlimmer oder besser machen. All eure Modelle und Prophezeiungen haben versagt. Vielleicht beweist Kaspar, daß die Vermischung Realität ist – aber alles weitere ist reine Mutmaßung. Willst du jeden UT-Spezialisten dieses Planeten in den Wahnsinn treiben?«
    Akili drehte sich wütend zu mir um. »Das will ich nicht! Das hier ist sowohl die Ursache als auch das Heilmittel. Es ist nur noch ein letzter Schritt nötig. Die Interpretation durch einen Menschen.« Aber hie klang nicht sehr überzeugt. Vielleicht ist die ganze Wahrheit noch viel schlimmer als der flüchtige Eindruck, der Qual zur Folge hat. Vielleicht lauert dahinter der totale Wahnsinn. »Willst du, daß ich es beweise? Soll ich es als erster lesen?«
    Hie hob das Notepad, doch ich packte heinen Arm. »Mach keinen Unsinn! Es gibt viel zu wenige Menschen, die auch nur halbwegs verstehen, was vor sich geht. Wir dürfen keinen von euch verlieren.«
    Wir saßen erstarrt da. Ich blickte auf meine Hand, mit der ich hie festhielt. Ich konnte erkennen, wo ich heine Haut verletzt hatte, als ich hie geschlagen hatte.
    »Du meinst also, Kaspars Einsicht übersteigt den Verstand der meisten Menschen?« fragte ich. »Du meinst, jemand muß eine Brücke schlagen und die Theorie interpretieren? Um die Perspektive zurechtzurücken?
    Dann brauchst du einen Experten – in der UT, nicht in Anthrokosmologie. Du brauchst einen Wissenschaftsjournalisten.«
    Akili gestattete, daß ich hie das Notepad aus der Hand nahm.
    Ich dachte an die schreiende Frau, die sich in Miami hilflos am Boden gewälzt hatte, und an die Opfer, die für wenige Minuten eine Periode der Hellsichtigkeit erlebt hatten. Ich hatte nicht den Wunsch, ihrem Beispiel zu folgen.
    Doch wenn es noch einen Rest von Sinn in meinem Leben gab, dann lag er hier. Ich mußte beweisen, daß wir mit der Wahrheit leben konnten – daß sie erklärt, entmystifiziert und akzeptiert werden konnte. Das war meine Aufgabe, meine Berufung. Ich hatte eine letzte Chance erhalten, ihr gerecht zu werden.
    Ich stand auf. »Ich muß das Lager verlassen. Bei diesem Lärm kann ich mich nicht konzentrieren. Aber ich werde es tun.«
    Akili kauerte mit gesenktem Kopf am Boden. »Ich weiß, das du es tun wirst«, sagte hie leise, ohne aufzublicken. »Ich vertraue dir.«
    Ich verließ schnell das Zelt und ging nach Süden. In der Hälfte des blassen Himmels waren immer noch undeutlich Sterne zu sehen. Der Wind von den Riffs war noch kälter geworden.
    Nachdem ich einhundert Meter weit in die Einöde vorgedrungen war, blieb ich stehen und hob das Notepad. Ich sagte: »Zeig mir den Artikel Versuch über eine Theorie über Alles von Violet Mosala.«
    Ich nahm die Augenbinde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher