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Qual

Qual

Titel: Qual
Autoren: Greg Egan
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Gefahr vorübergegangen sein, während die Verzerrung aufgehoben und die Qual beendet worden war. Vielleicht hatte sich irgendein Mitglied des AK-Zentrums Zugang zu Mosalas Berechnungen verschafft, nachdem er von ihrem Tod erfahren hatte, und einen wesentlichen Irrtum in Kaspars Analyse erkannt, bevor ich auch nur ein Wort davon gelesen hatte.
    Akili näherte sich – eine undeutliche Gestalt in der Ferne, aber ich wußte, daß nur hie es sein konnte. Ich hob zaghaft die Hand und winkte dann triumphierend. Die Gestalt winkte zurück und warf einen riesigen Schatten westwärts über die Einöde.
    Dann kam alles zusammen, was ich erfahren hatte, wie ein Donnerschlag, wie ein Überfall aus dem Hinterhalt.
    Ich war die Schlüsselfigur. Ich hatte das Universum durch Erklärung erschaffen, ich hatte es aus dem Samen des Moments wachsen lassen und Schicht um Schicht aus wunderbaren verschlungenen Notwendigkeiten darum angeordnet. Die strahlende Leere voller Galaxien, zwanzig Milliarden Jahre kosmischer Evolution, zehn Milliarden menschlicher Verwandter, vierzig Milliarden Lebensformen – die gesamte Komplexität dieser Vorgeschichte des Bewußtseins hatte sich aus dieser Singularität ergossen. Es war gar nicht nötig, daß ich mir jedes einzelne Molekül, jeden einzelnen Planeten, jedes einzelne Gesicht vorstellte. Alles war in diesem Moment kodiert.
    Meine Eltern, Freunde, Geliebte… Gina, Angelo, Lydia, Sarah, Violet Mosala, Bill Munroe, Adelle Vunibobo, Karin De Groot. Und Akili. Die hilflosen schreienden Fremden, die Opfer derselben Offenbarung geworden waren, hatten nur ein verzerrtes Echo meines eigenen Entsetzens über die Erkenntnis ausgestoßen, daß ich sie alle geschaffen hatte.
    Dies war der solipsistische Wahnsinn, dessen Widerspiegelung ich im Gesicht der ersten bedauernswerten Frau gesehen hatte. Dies war Qual: nicht die Angst vor der herrlichen Mechanik der UT, sondern die Erkenntnis, daß ich ganz allein in der Dunkelheit war, gemeinsam mit hundert Milliarden strahlender Spinnweben, die um meine nicht existenten Augen gesponnen waren…
    … und nachdem ich es jetzt wußte, würde der Atem meiner Erkenntnis sie alle verwehen lassen.
    Nichts hätte geschaffen werden können, ohne daß ein vollständiges Wissen vorhanden war, wie es bewerkstelligt wurde. Es war nicht möglich ohne die vereinigte UT, die Physik und Information einschloß. Keine Schlüsselfigur hätte unwissend und unschuldig handeln können, um das Universum unbewußt ins Leben zu rufen.
    Doch dieses Wissen war nicht zu ertragen. Kaspar hatte recht gehabt. Die Gemäßigten hatten recht gehabt. Alles, was den Gleichungen Leben eingehaucht hatte, würde sich jetzt in eine sinnlose Tautologie auflösen.
    Ich hob den Blick zum leeren Himmel und war bereit, den Schleier der Welt herunterzureißen und nichts dahinter zu finden.
    Dann rief Akili meinen Namen, und ich erstarrte. Ich blickte auf hie herab – und hie war so schön wie immer, so unerreichbar wie immer.
    Und so unfaßbar wie immer.
    Doch dann sah ich den Ausweg.
    Ich sah den Fehler in Kaspars Überlegungen, was ihn daran gehindert hatte, zur Schlüsselfigur zu werden: eine unüberprüfte Vermutung, eine ungestellte Frage, die bislang weder wahr noch falsch war.
    Konnte ein Geist allein einen anderen durch Erklärung erschaffen?
    Die UT-Gleichung sagte dazu nichts. Die kanonischen Experimente gaben darüber keine Auskunft. Die Antwort fand sich allein in meinen Erinnerungen, in meinem eigenen Leben.
    Um mich endgültig aus dem Zentrum des Universums zu reißen – und um die Auflösung zu verhindern – mußte ich nur noch von einer einzigen Illusion Abschied nehmen.

 
     
     

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Epilog

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Während der Landung des Flugzeugs beginne ich mit der Aufzeichnung. Witness bestätigt: »Kapstadt, Mittwoch, 15. April 2105, 7:12:12 GMT.«
    Karin De Groot ist zum Flughafen gekommen, um mich abzuholen. Sie sieht erstaunlich gesund aus – auch körperlich – obwohl sich uns Alten die Verluste tief eingegraben haben. Wir begrüßen uns, dann schaue ich mich um und versuche, die Überfülle der anatomischen und modischen Stile zu erfassen. Es ist nicht anders als anderswo, aber jeder Ort hat seine eigene Mischung, sein eigenes Repertoire an Moden. Imposante einziehbare Kapuzen voller dunkelvioletter photosynthetischer Symbionten scheinen in ganz Südafrika sehr beliebt zu sein. Zu Hause sind es amphibische Anpassungen an die Atmung und Ernährung unter Wasser.
    Nach dem Aleph-Moment hatten
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