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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst
Autoren: Jana Frey
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1. SKY
    Die Sonne war untergegangen. Moon lehnte mal wieder an der offenen Terrassentür und blickte auf den noch rot gefärbten Himmel. Mom stritt sich – ebenfalls mal wieder – mit Dad am Telefon herum. Und Kendra und ich saßen einfach nur so herum.
    »Wie ist das eigentlich nun mit deinen Eltern?«, fragte meine beste Freundin mit einem Seitenblick auf meine Mutter und streichelte Godot, unseren Mischlingshund, der zwischen uns auf dem Fußboden lag. »Sind sie noch zusammen oder haben sie sich doch getrennt?«
    Ich zuckte mit den Achseln. Wer wusste das schon genau? Moon und ich jedenfalls nicht.
    Kendra schaltete unseren unmöglichen, uralten Fernseher ein und zappte sich durch die Programme, indem sie mit aller Wucht auf die altersschwache Fernbedienung einhämmerte.
    Kendra wohnt in einer viel besseren Gegend als wir, im ländlichen Abschnitt des San Fernando Valley, aber im Grunde lebt sie fast so sehr bei uns wie ich, denn sie ist fast immer hier.
    Hier, das ist am Hillcrest Drive in Hollywood, was imposant klingt, aber nicht imposant ist, denn wir sind weit von Beverly Hills und dem Walk of Fame und den Universal Studios entfernt. Wir leben ziemlich weit im Süden von LA am Hillcrest Drive in einem kleinen, zweistöckigen schäbigen Haus, das seine besten Jahre lange hinter sich hat. Meine Mom liebt es trotzdem, obwohl praktisch jeden Tag etwas darin kaputtgeht. Es ist im Grund kein schlechtes Haus, nur reparaturbedürftig. Die Außenverkleidung müsste gestrichen werden, der Stuck bröckelt, das Dach ist alt und durchlässig, eine Treppenstufe zum niedrigen Obergeschoss ist zerbrochen, aber wir haben uns längst an den großen Schritt zwischen Stufe drei und fünf gewöhnt. Unter der zerbrochenen Holzdiele von Stufe vier bewahren meine Mutter und Moon kleine Cannabisvorräte auf. Und Moon seine eigenen Gedichte. Und meine Mutter in einem winzigen Tondöschen die Reste von Moons und meinem Bauchnabel. Ziemlich eklig, aber sie hängt daran. Kendra, der ich die Dinger mal gezeigt habe, dachte, Moons Bauchnabelrest wäre ein Stück Vorhaut.
    In der Küche lässt sich der Warmwasserhahn nur mit einer Rohrzange auf- und zudrehen, weil der Drehgriff abgebrochen und das Verbindungsstück zum Hahn verrostet ist. Im Gästebad gibt es überhaupt nur kaltes Wasser. Und das auch nur in einem dünnen, kümmerlichen Rinnsal. Außerdem wächst unser wilder Garten, in dem zwischen viel Gestrüpp der knorrige Olivenbaum steht, den Moon liebt, uns ins Haus.
    Wir haben eine Vielzahl von unterschiedlichen Moosen und Flechten, die gemächlich durch die Hintertür in die Küche wuchern, und einen hartnäckigen, interessant lilafarbenen Schimmelbefall im Wintergarten. Der größte Schimmelfleck, der immer wieder hervorkommt, wie brutal man auch gegen ihn vorgeht, hat fast unheimlich exakt die Form der Vereinigten Staaten. Moon gefällt das.
    »Amerika, nichts weiter als ein bisschen Schimmel«, sagt er manchmal und lacht leise. Und dann war da natürlich noch der Schimmel im Schimmelzimmer. »Geld! Hörst du, Leek?«, rief meine Mutter gerade. »Geld! – Soll ich es dir buchstabieren?« Sie saß im Yogaentspannungssitz, dem Sukhasana , mitten in unserem vollgestopften Wohnzimmer, die Handrücken auf die Knie gelegt, ihre Daumen und Zeigefinger berührten sich. Das schnurlose Telefon hatte sie sich mühsam zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Meine Mom saß immer im Sukhasana, wenn sie mit meinem Dad telefonierte. Weil dann Ärger und Streit und Katastrophen drohten. Er konnte mal wieder pleite sein, er konnte Stress mit einer seiner Kurzzeitfreundinnen haben oder von einem Schub Schwermut befallen sein.
    »Was heißt, du hast auch nichts? Und wovon, bitte schön, sollen wir leben, Leek? Kannst du mir das mal sagen? So kann das nicht weitergehen. Sky hat in zwei Monaten Abschlussball, hast du das vergessen? Sie braucht ein Kleid. Wir haben nicht mal mehr Zahnpasta im Haus. Geschweige denn etwas Essbares. Außerdem braucht der verflixte Hund eine Impfung. Und die Stromrechnung ist nicht bezahlt. – Warum verkaufst du kein Bild, Lawrence? Hast du keine Aufträge? Was machst du eigentlich den ganzen Tag so in Venice Beach? Auch etwas anderes als kiffen und vögeln?«
    Moons und mein Blick trafen sich kurz. Moon, der meiner Mutter ähnelt, äußerlich wie innerlich, zog eine Augenbraue nach oben. Dann löste er sich von der Terrassentür und ging wortlos in den Garten hinaus.
    Godot war inzwischen eingeschlafen und scharrte im
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