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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele
Autoren: Marina Heib
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Hamburger Postkartenmotiv mit interesselosem Wohlgefallen zur Kenntnis, wandte sich den Stehtischen zu und bestellte einen achtzehn Jahre alten schottischen Single Malt. Clarissa trank selten Alkohol, sie bevorzugte einen klaren Kopf. Doch heute gab es etwas zu feiern. Die letzte Runde der Fusionsverhandlungen mit dem konkurrierenden hanseatischen Unternehmen war zu ihrer vollen Zufriedenheit verlaufen. Sobald in einigen Wochen die Verträge unterzeichnet sein würden, konnte Clarissa mit ihrer Wahl zur Vorstandsvorsitzenden des global operierenden und börsennotierten Kosmetikkonzerns »Aglaia« rechnen, für den sie in Düsseldorf seit mehr als fünfzehn Jahren arbeitete – zuerst als Chemikerin in der Forschung, inzwischen in der Chefetage. Dann würde sie endlich da sein, wo sie von Anfang an hinwollte: ganz oben.
    Der Single Malt schmeckte wunderbar nach trockenem, würzigem Küstenwhisky voller Seeluft und Torf, sodass Clarissa kurz geneigt war, wenigstens ihrer Zunge eine poetische Ader zuzugestehen. Sie hatte den Whisky noch nicht ausgetrunken, als ein junger Mann an ihren Stehtisch trat. Mit einem entschuldigenden Lächeln nahm er ihr Glas und schnupperte dezent daran.
    »Ein schottischer Single Malt. Rauchig, salzig, sehr torfig. Ich vermute ein Talisker von der Isle of Skye oder ein Lagavulin von der Isle of Islay? Ja, es ist ein Lagavulin! Da kommen selbst Sherry-Fässer kaum gegen den kräftigen Grundton an.«
    »Mussten Sie den Kellner bestechen, oder hat er Ihnen die Information freiwillig rausgerückt?«, fragte Clarissa halbwegs amüsiert. Mit einem kurzen Blick hatte sie festgestellt, dass der junge Mann nicht nur äußerst attraktiv war, sondern auch gepflegt bis in die Fingerspitzen. Er trug seinen maßgeschneiderten Anzug mit angenehmer Lässigkeit und einen edlen, aber nicht protzigen Chronograf.
    »Ich habe lediglich zehn Euro investiert. Was für ein Idiot, dieser Kellner! Ein gutes Entrée bei einer Frau wie Ihnen ist unbezahlbar. Darf ich mich vorstellen?« Er deutete eine kleine Verbeugung an, die keineswegs aufgesetzt oder peinlich wirkte. »Stephan Wöhler, Atomphysiker auf 400-Euro-Basis.«
    Clarissa lachte: »Dafür bekommen Sie nicht mal einen Ihrer Manschettenknöpfe.«
    Sie bot Stephan einen Platz an. Er bedankte sich höflich und bestellte zwei Lagavulin.
    »Was machen Sie hier, Herr Atomphysiker? Die Aussicht bewundern?«
    Stephan deutete mit dem Kinn unauffällig auf die junge Frau an der Fensterfront: »Und in konvulsivische Zuckungen geraten wegen des bunten Geglitzers, das wie ein Sternenhimmel auf der Elbe liegt? Ich könnte der Dame etwas über Lichtbrechungen erzählen, aber ich fürchte, das interessiert sie nur in Bezug auf Diamanten. Nein, ich arbeite in Genf bei CERN, das ist eine geschlossene Anstalt für Wissenschaftler. Ich bin bis morgen in Hamburg, weil ich mit einem Kollegen bei DESY, ebenfalls eine geschlossene Anstalt, supersymmetrische Materiezustände diskutiert habe. DESY und CERN arbeiten gemeinsam am derzeit leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider oder kurz LHC. Aber ich will Sie nicht langweilen. Erzählen Sie bitte von sich, das ist weitaus interessanter!«
    Clarissa hätte Stephan aufklären können, dass ihr sowohl CERN als auch DESY durchaus geläufig waren. Doch ihr stand nicht der Sinn nach wissenschaftlichem Austausch, zumal sich mit dem jungen Mann hervorragend flirten ließ. Nach fünfzehn Minuten war Clarissa äußerst angetan von Stephan und seiner auf hohem Niveau geführten Konversation. Nach einer weiteren Stunde nahm sie ihn mit aufs Zimmer. Ihr war sehr wohl bewusst, dass Stephan vermutlich Ende zwanzig und damit knappe dreißig Jahre jünger war als sie. Aber sie ging dank ihrer hervorragenden Kontakte zur Schönheitsindustrie noch gut als Mittvierzigerin durch. Außerdem zwang sie ihn schließlich zu nichts. Im Gegenteil: Stephan hatte ein beeindruckendes Spektrum an charmanter Verführungskunst aufgeboten, bis er sie so weit hatte. Nun wollte sie in vollen Zügen genießen.
    Die Nummer war hart, schnell und mechanisch, doch Clarissa störte sich nicht daran. Bei einem so jungen Mann erwartete sie keine erotische Raffinesse noch obszöne Spielereien, mit denen sich so manch älterer Liebhaber über seine mangelnde Standfestigkeit hinwegtröstete. Stattdessen bekam sie junges, festes Fleisch und sorglose, um nicht zu sagen rücksichtslose Männlichkeit. Außerdem roch er gut.
    Nach knappen zwanzig
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