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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele
Autoren: Marina Heib
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Hause zu seiner Familie gegangen. Daniel und Yvonne schliefen aneinandergelehnt auf dem Sofa. Anna begrüßte Christian mit einem innigen Kuss. Karen lächelte ihn nur an und drückte ihm ein Bier in die Hand. Er sah keinerlei Vorwurf in ihrem Blick. Nur Freude.
    Christian setzte sich an den Esstisch. Anna und Volker waren inzwischen auf Kaffee umgestiegen, nur Karen hatte noch ein Bier vor sich stehen. Christian stieß mit ihr an und nahm einen langen Zug. Dann erzählte er, was in Düsseldorf passiert war. Niklas hatte ohne Zögern ein umfassendes Geständnis abgelegt und dabei Clarissa schwer belastet. Clarissa Wedekind schmorte wegen Beihilfe zum Mord in mehreren Fällen, Verdacht auf Mord im Fall Beatrix Kowalski und anderer Klagepunkte in Untersuchungshaft. Nach Thomas Howela wurde gefahndet. Die vier Mütter waren mit Kratz nach Berlin gefahren. Sie wollten sich näher kennenlernen und gemeinsam einen Anwalt suchen, der ihre Interessen bei der Anklage gegen Schmitt und Wedekind vertrat. Nach Christians Vermutung jedoch gründeten sie eine Art Klub postmoderner Erinnyen – emanzipiert und bis an die Zähne bewaffnet. Während Kratz an seinem Pulitzer-Preis feilte, den er sich mit Nico vom Radio teilen wollte. Als Christian seinen Bericht beendete, bemerkte er, wie wahnsinnig müde er war. Er wich allen Fragen nach den Details der Verhaftung aus und trat tief durchatmend auf Karens kleinen Balkon, um das Glühen der Morgensonne zu bewundern. Die frische, kühle Morgenluft tat ihm gut.
    Nach einer Minute stiller Beschaulichkeit trat Karen plötzlich neben ihn.
    »Er lässt dich grüßen«, sagte Christian leise.
    Karen sah schweigend nach Osten, wo sich der Morgenhimmel rosa einfärbte.
    »Was ist auf dem Boot passiert, Karen?«
    »Wir haben geredet. Schach gespielt. Sonst nichts.« Karen nippte an ihrem Bier. Sie wirkte ein wenig angetrunken.
    »Er hat gesagt, er liebt dich.«
    Karen lächelte. »Ich habe auf diesem Gebiet bislang keine praktische Erfahrung. Aber ist das nicht ganz normal unter Geschwistern?«
    27. September 2009:
Haltern am See.
    Es war ein prachtvoller Sonntag, an dem die Temperaturen noch einmal über zwanzig Grad kletterten. Das Laub einiger Bäume verfärbte sich schon langsam rötlich und ockerfarben.
    An diesem Nachmittag hing seidiger Spätsommer in der Luft. Frau Jacob saß auf der hölzernen Gartenbank und strickte. Sie sah zufrieden aus. Dann und wann wanderte ihr mütterlich besorgter Blick zu Jenny, die ein paar Meter entfernt zwischen verblühten Rhododendren spielte. Ein Gehweg aus Kieselsteinen schlängelte sich zwischen den Rabatten hindurch. Die Kieselsteine faszinierten Jenny, was Frau Jacob wunderte. Normalerweise spielen Drei- oder Vierjährige mit Kieselsteinen. Jenny war zehn. Aber Jenny war eben in vielen Dingen wunderlich. Nachdem Frau Jacob ihren Blick ein paar Minuten auf ihrer Tochter verweilen ließ, wandte sie sich wieder ihrem Strickzeug zu. Jenny indes nahm die Konstruktion, die sie gerade aus Kieselsteinen gebaut hatte, sorgsam wieder auseinander. Eine Dreiecks-Statik zu bauen, wo die kleinen Steine oben auf den großen unteren ruhten, erschien ihr eine zu geringe Herausforderung. Also machte sie es nun umgekehrt. Die Basis musste sehr breit sein, damit der größte Stein ganz oben dennoch nicht die Form des Dreiecks torpedierte. Aber auch das war zu einfach. Sie sortierte nun ihre Steine wieder nach der Größe, mischte die Häufchen nach einem bestimmten System und legte sie zu anderen Häufchen zusammen.
    Karen, die seit etwa einer Stunde hinter einem Baum vor dem Garten der Familie Jacob stand und Jenny heimlich beobachtete, lächelte glücklich. Jenny legte Primzahlvierlinge und markierte mit den kleinsten Steinen jeweils die beiden Häufchen, deren Summe teilerfremder Zahlen nicht wieder eine Primzahl ergab. Sie spielte schweigend und in sich versunken. Jenny war wirklich etwas ganz Besonderes. Und sie besaß die gleichen kornblumenblauen Augen wie Karen und Niklas.
    Karen konnte die Ereignisse der letzten Tage immer noch nicht ganz begreifen. Plötzlich hatte sie einen Halbbruder, der wegen mehrfachen Mordes in Untersuchungshaft saß. Und vor ihren Augen spielte eine hinreißende kleine Halbschwester mit einer augenscheinlichen Leidenschaft für Mathematik. Karen spürte ein warmes Gefühl von Zugehörigkeit, das sie so noch nie in ihrem Leben empfunden hatte.
    DANKSAGUNG
    Wieder – und von Herzen – danke ich meinen Agenten Nadja Kossack und Lars
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