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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele
Autoren: Marina Heib
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Hand auf den Arm, mit dem sie die Waffe hielt: »Sybille, Christian hat recht. Dieses Schwein wird seine Strafe bekommen. Aber nicht jetzt und nicht hier.«
    Sybille konnte den Blick nicht von Niklas abwenden. Ihre Hand begann noch stärker zu zittern. Fast bekam Christian Angst, dass sich aus Versehen ein Schuss lösen könnte. Mit ruhigen Worten redete Petra weiter auf Sybille ein, bis diese schließlich wie in Trance die Pistole sinken ließ. Petra nahm sie ihr weg und reichte sie Christian. Dann brach Sybille zusammen, die Anspannung war zu viel für sie. Petra nickte Christian zu, nahm die von einem Weinkrampf geschüttelte Sybille in den Arm und führte sie hinaus. Christian hörte, wie die Wohnungstür wieder leise geschlossen wurde.
    »Wo ist Karen? Ich frage nicht noch einmal!«
    »Wie nett, dass Sie mich vor diesen Megären beschützt haben. Aber mal ganz ehrlich: Ich habe absolut kein Problem damit, wenn mich jemand abknallt. Ihnen müsste ich dazu doch nur sagen, dass ich Karen das Herz herausgeschnitten habe, richtig?«
    Christian entfuhr ein qualvolles Stöhnen. Sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzugshahn. Niklas wartete lächelnd ab. Als Christian mühsam beherrscht den Druck wieder vom Abzug nahm, schimmerte Verachtung in Niklas’ Augen. »Sie halten mich für ein krankes Schwein. Wie alle anderen auch. Vermutlich haben Sie recht. Aber Karen … Karen würde ich niemals etwas tun. Karen ist wie ich.«
    Christian schlug Niklas so hart auf den Mund, dass die Lippe aufplatzte. »Das ist sie nicht!«
    Niklas lächelte nur. »Was wissen Sie schon? Das können Sie nicht verstehen. Niemals. – Karen ist in Hamburg auf einem Hausboot. Auf der Bille. In der Nähe der Grünen Brücke. Es geht ihr gut. Grüßen Sie sie von mir. Wenn mich nicht alles täuscht, dann liebe ich sie.«

Hamburg.
    Nicht mal eine Stunde später stürmten Volker und Herd das einzige anscheinend unbewohnte Hausboot auf der Bille, einem kleinen Nebenfluss der Elbe. Karen lag auf der Pritsche, an Händen und Füßen gefesselt, der Mund geknebelt. Kaum hatten sie Karen von dem Knebel befreit, mussten sie sich Vorwürfe anhören: »Wo bleibt ihr denn so lange, ihr Penner!?«
    Volker standen die Tränen der Erleichterung in den Augen, als er Karens Fesseln durchtrennte. Herd räusperte sich rau. Er verzichtete auf eine seiner üblichen missmutigen Antworten. Karen wollte aufstehen, doch ihre Beine knickten ein. Volker fing sie auf und hielt sie fest. Lange. Es war das erste Mal, dass Volker es wagte, Karen zu umarmen. Und Karen ließ es zu. Als Volker sie endlich freigab, war sie schon wieder sicherer auf den Beinen. Sie umarmte auch Herd.
    Trotz dieser kleinen emotionalen Einlage war es für niemanden eine Überraschung, dass Karen sich weigerte, in ein Krankenhaus zu gehen, um sich untersuchen zu lassen. Sie wollte nach Hause, wollte duschen, Zähne putzen und frische Klamotten anziehen. Das Ganze bitte schön ohne tausend Augen, die an ihrem Körper klebten. Außerdem forderte sie unmissverständlich, dass zusätzlich zu Volker und Herd auch Anna, Yvonne und Daniel zu ihrer Wohnung kamen. Sie sollten ihr ungeachtet der mitternächtlichen Uhrzeit ein Steak mit Pommes mitbringen und helfen, ihre Wein- und Biervorräte zu tilgen. Karen wollte ihr Überleben feiern.
     
    Am Morgen, gegen sieben Uhr, kam der völlig übermüdete Christian in Hamburg an. Er hatte den ersten Vernehmungen in Düsseldorf beigewohnt und dann ein Flugzeug bestiegen. So viel wie in den letzten paar Wochen war er noch nie geflogen. Aber er wollte Karen so schnell wie möglich sehen. Er wollte ihr in die Augen blicken und darin lesen, ob sie ihm verzieh. Wenn er sich schon nicht selbst verzeihen konnte.
    Während der Taxifahrt zu Karens Adresse in Eppendorf sah er unverwandt aus dem Seitenfenster. Der Taxifahrer hatte das Radio laufen. Es kamen Nachrichten. Danach ertönte »Stairway to Heaven« von Led Zeppelin. Christian nahm das alles nicht wahr. Er blickte auf die Bäume, die die Alsterdorfer Chaussee säumten. Er dachte an den kommenden Herbst. Bald würden die Blätter fallen. Es würde wie Sterben aussehen. Christian dachte an den Tod.
    Als er bei Karen eintraf, öffnete ihm Volker die Tür. Die beiden umarmten sich stumm. Wenn Karen etwas passiert wäre, hätte die Schuld bis an ihr Lebensende auf ihren Schultern gelastet. Das wussten sie, das mussten sie nicht bereden. Herd hatte die Wiedersehensparty schon verlassen. Er war kurz vor Mitternacht nach
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