Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele
Autoren: Marina Heib
Vom Netzwerk:
überprüfen. Ansonsten lebte Liesel eher zurückgezogen.
    Überhaupt war es im letzten Jahrzehnt in der Studentenhochburg Tübingen ruhig geworden. Heutzutage lief keiner mehr hinter einem her und forderte mit strenger Stimme, aus der Kirche aus- und in den Spartakusbund einzutreten. Liesel gehörte nicht zu den Alten, die behaupteten, dass früher alles besser war. Aber bunter war es gewesen. Vor allem in den Sechzigern und Siebzigern. Auch wenn Liesel damals nicht mitmarschiert war. Sie kümmerte sich da schon mit ihrem – leider viel zu früh verstorbenen – Erwin um ihren kleinen Blumenladen in der Altstadt. Aber sie hatte es insgeheim aufregend gefunden, was um sie herum so passierte. Liesel mochte die jungen Leute. Auch heute noch. Obwohl ihr deren Dauerbeschäftigung mit den Computern fremd war. Sie las lieber Bücher. Am liebsten Krimis.
    Direkt unter Liesel, da wohnte Sarah. Sarah war ihr Augenstern. Sie studierte Völkerkunde und war ein äußerst liebenswürdiges Mädchen von dreiundzwanzig Jahren. Sarah hatte Liesel sogar angeboten, die Wohnungen zu tauschen, damit Liesel nicht mehr in den dritten Stock hinaufsteigen musste. Aber Liesel hatte dankend abgelehnt. Sie wohnte nun schon dreiundvierzig Jahre in der Wohnung und war gewissermaßen mit jedem Kratzer im alten Porzellanspülbecken verwachsen.
    Die Stimmen von unten aus Sarahs Wohnung wurden lauter. Sarah klang aufgeregt. Erst gestern hatte Sarah bei Liesel gesessen und sie um Rat gefragt. Ihr Freund, den sie erst seit sechs Wochen kannte, wollte sie heiraten und gemeinsame Kinder. Am liebsten sofort. Sarah war hin- und hergerissen. Einerseits hatte sie die Nase voll von den kurzlebigen Beziehungen ihrer letzten drei Jahre. Andererseits flößte ihr das Tempo des jungen Mannes Angst ein. Er hieß Frank und war erst vor wenigen Wochen in Tübingen aufgetaucht. Er wollte irgendeine Dozentur an der Uni übernehmen. Jedenfalls hatte sich dieser Frank Hals über Kopf in Sarah verliebt.
    Das spontane Gefühl konnte Liesel gut verstehen. Das Drängen des jungen Mannes auf eine sofortige Familiengründung gefiel ihr aber nicht. Sarah war viel zu jung zum Heiraten. Liesel war insgeheim sogar überzeugt, dass Sarah viel zu jung war, um von »kurzlebigen Beziehungen« die Nase voll zu haben. Sie hatte Sarah geraten, sich Zeit zu lassen. Ihr Herz zu prüfen.
    Sarah hatte sie ganz offen angeblickt und vermutet, dass Liesel etwas gegen Frank habe. Liesel hatte sich ein wenig ertappt gefühlt. Zweifellos, dieser Frank war ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Hübsch wie der junge Hotte Buchholz. Aber die zwei, drei Mal, die Liesel ihm im Hausflur be gegnet war, da war es ihr kalt den Rücken runtergelaufen, egal, wie warm er sie angelächelt hatte. Als sie das Sarah gestand, hatte Sarah mit ernstem Blick genickt. Als wüsste sie genau, wovon Liesel sprach.
    Und jetzt stritt sich Sarah mit Frank. Heftig. Liesel konnte jedes Wort verstehen.
    »Das geht mir zu schnell, Frank. Wir kennen uns kaum! Und ich finde es nicht okay, dass du mich unter Druck setzt!«
    »Entweder man weiß, was man will, oder man weiß es nicht. Ich will ein Kind!«
    »Du sagst das so … so wie … ›ich will Vanilleeis‹.«
    »Weißt du denn, was du willst?« Auch Franks Ton war schärfer geworden.
    »Ja … Nein! Nein, ich weiß es nicht! Lass uns doch erst mal sehen, wie sich unsere Gefühle füreinander entwickeln.«
    »Gefühle! Wichtige Entscheidungen trifft man mit dem Kopf!«
    Liesel hatte fast ein schlechtes Gewissen, weil Sarah anscheinend auf ihren Rat hörte und deswegen diesen Zwist vom Zaun brach.
    Inzwischen schrie Sarah: »Dann trennen wir uns eben! Glaub bloß nicht, dass ich wegen dir heule! Du bist kalt wie ein Fisch – absolut herzlos!«
    Franks Antwort kam so leise, dass Liesel sie kaum verstand. Dennoch erschrak sie über seinen Ton bis ins Mark.
    »Das wirst du nie wieder zu mir sagen, hörst du? Nie wieder!«
    Das Fenster unter Liesel wurde geschlossen. Sie hörte nur noch einen kurzen Wortwechsel, konnte aber nichts mehr verstehen. Dann war es still.
    Liesel nippte an ihrem Tee und dachte an Erwin. Was hatte sie sich mit ihm gestritten! An die vielen nichtigen Gründe konnte sich Liesel nicht mehr erinnern. Nur an die Versöhnungen. Die waren noch intensiver als die Auseinandersetzungen gewesen.
    Nach etwa einer halben Stunde hörte sie unten die Wohnungstür zuschlagen. Liesel stand auf und bereitete ihr Abendbrot zu. Nachdem sie gegessen hatte, überkam sie eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher