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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele
Autoren: Marina Heib
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Minuten ging Clarissa ins Bad, um sich frisch zu machen. Entspannt betrachtete sie ihren nackten Körper im Spiegel. Das Hochgefühl, begehrt zu werden, hatte ihre durchtrainierte schmale Linie noch zusätzlich gestrafft. Sie lächelte, fühlte sich erhaben wie die Königin von Saba. Auf den erfolgreichen Tag war unverhofft eine aufregende Nacht gefolgt. Sie wusch sich, frisierte ihr Haar mit den Fingern, puderte ihre Nase, sprühte etwas Chanel auf ihr Dekolleté und ging zurück ins Zimmer. Ob sich die schnelle Nummer noch einmal wiederholen ließe?
    Doch in den wenigen Minuten ihrer Abwesenheit war die Stimmung umgeschlagen. Alle Lampen brannten, ihr helles Licht zerstörte jegliche Intimität, die Zimmertemperatur schien sich durch einen unerklärlichen Temperatursturz halbiert zu haben. Stephan saß vollständig angezogen in einem der beiden Sessel und nippte an einem Whisky, den er sich offensichtlich aus der Minibar genehmigt hatte. Seine ganze Haltung drückte plötzliche Distanz aus. Zum Bett und zu Clarissa. Irritiert sah sie in seine Augen. Sie waren kalt. Der betörende Charme wie ausgeknipst.
    Clarissa verstand. Wie konnte sie nur so blöd gewesen sein! Das Gefühl von Erhabenheit war in Sekunden zerplatzt, von Königin keine Spur mehr. Sie war nur noch eine Frau, die sich auf einen Schlag ihres Alters, ihrer Müdigkeit und ihrer Nacktheit bewusst wurde. Fröstelnd nahm sie den Bademantel, der auf dem Sessel neben Stephan lag, und zog ihn über.
    »Ich vermute, du willst Geld?«, fragte sie kühl. Es war nicht das erste Mal, dass Clarissa mit einem Gigolo im Bett gewesen war. Doch normalerweise wurde mit offenen Karten gespielt. Eine eindeutige Geschäftsvereinbarung zu beiderseitigem Vorteil. Stephan jedoch hatte sie getäuscht. Und sie war auf ihre eigene Eitelkeit hereingefallen. Auf ihre Hoffnung, dass sie immer noch eine sehr attraktive Frau war, die selbst so junge Männer wie diesen hier in den Bann ziehen konnte. Dass sie mit ihrem erlesenen Stil, ihrer Intelligenz und Erfahrung jedem noch so hübschen Mäuschen aus irgendeiner Bar meilenweit überlegen war. Irrtümer. Wunschdenken. Clarissa riss sich zusammen. Wenn sie schon so unsanft aus ihrem dummen Ausflug in die Welt der Illusionen herauskatapultiert wurde, wollte sie wenigstens ihre Würde bewahren.
    Ohne sich irgendeine Regung anmerken zu lassen, zog Clarissa ihr Krokodilleder-Portemonnaie aus ihrer Krokodilleder-Handtasche. »Wie viel?«
    Stephan sah sie kalt lächelnd an. Der Temperatursturz musste mit diesem Lächeln zusammenhängen. »Eine Million.«
    Clarissa lachte laut auf und steckte ihre Geldbörse wieder in die Handtasche: »Bist du verrückt? Für diese schäbige Nummer?«
    Stephan faltete entspannt die Hände in seinem Schoß und schlug die Beine übereinander. »Du wirst mir die Million geben. Soll ich dir sagen, warum?«
    »Ich bin gespannt«, gab Clarissa spöttisch zurück.
    Er sagte es ihr.
    Clarissa rannte ins Badezimmer und übergab sich. Entsetzliche Minuten später kam sie ins Zimmer zurück. Und überwies mit ihrem Laptop per Onlinebanking eine Million auf Stephans Schweizer Nummernkonto.
    3. Februar 2009:
Tübingen.
    Der Wasserkessel auf dem Gasherd fing mit einem schrillen Ton an zu pfeifen. Als Elisabetha Stamminger, genannt Liesel, in die Wohnküche geschlurft kam, war das Fenster zum Hinterhof schon vollständig beschlagen. Mit einem selbst gehäkelten Topflappen zog Liesel den Kessel vom Feuer und öffnete das Fenster. Sie brühte sich einen Darjeeling auf und ließ am Tisch sitzend ihren Blick auf der Kanne ruhen, solange der Tee zog – fast wäre sie dabei eingenickt. Doch dann hörte sie Stimmen von unten. Sarah hatte wohl Besuch und ebenfalls das Fenster geöffnet. Durch den winzigen Hinterhof konnte man jedes Wort aus den anderen Wohnungen verstehen. Liesel empfand das nicht als Belästigung, sondern als unterhaltsames Hörspiel, das sie mit ihren vierundsiebzig Jahren in das Leben der jungen Menschen um sie herum einband.
    Außer Liesel wohnten nur Studenten im Haus. Ihr gegenüber, ganz oben im dritten Stock, waren es die zwei hübschen Schwestern aus Speyer. Von denen bekam sie aber relativ wenig mit, weil ihre Zimmer nach vorne zur Straße lagen. Unten im Erdgeschoss lebte der Türke Memet, der Arzt werden wollte. Das Studium des weiblichen Körpers betrieb er auch privat höchst intensiv und an ständig wechselnden Fallbeispielen. Ein Mal in der Woche kam Memet zu Liesel, um ihren Blutdruck zu
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