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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu sagen: »Unser Papi ist der beste auf der Welt!« Es kostete Mühe, dieses Gebäude der frommen Lügen, des Selbstbetruges und des Ringens, um die Achtung der Umwelt aufrechtzuerhalten. Jeder in der Wohnkolonie kannte Peter Kaul, die Nachbarn hörten ihn jeden Freitag singen oder toben … aber Susanne überdeckte das alles durch ihr Wesen und durch ihre Kraft, das Intime ihres Lebens vor der Außenwelt abschirmen zu können. Oft glaubte sie, daß es nicht mehr möglich sei, etwa, wenn Peter Kaul einen Stuhl zerschlug oder wenn er einem der Ratenkassierer drohte, ihn durch das Fenster auf die Straße zu werfen. Dann sprach sie auf den Bedrohten ein und bat der Kinder wegen um Milde, dann sagte sie beim Einkaufen: »Mein Mann ist krank. Es ist eine unbekannte Krankheit. Sie kommt und geht, wie die Malaria.« Und man ließ ihr die Illusion, daß es geglaubt wurde. Man bedauerte sie ehrlich und war nicht schadenfroh wie etwa bei der Familie Schimbrowski, wo der Alte auch soff, seine Frau verprügelte und jeder es der Erna Schimbrowski gönnte, denn sie war eine Schlampe, ließ die Kinder im Dreck spielen und rauchte selbst am Tag dreißig Zigaretten. Der Kaufmann hatte es verraten. Nein, Susanne Kaul wurde bedauert und bemitleidet, aber man zeigte es ihr nicht, weil man wußte, daß Mitleid für sie das Schlimmste war. Man glaubte ihren Erzählungen vom kranken Mann und sah in ihr eine tapfere Frau, die sich dem Zusammenbruch entgegenstemmte und noch die Kraft besaß, der Umwelt das Bild einer glücklichen Ehe vorzuspielen.
    Zuerst kam Heinz in die Küche. Er ging vor, er war ein Junge, er wollte mutig sein und seine Schwester Petra schützen. Peter Kaul stand unterdessen in der Toilette. Man hörte das Plätschern bis in die Küche. Über Susannes Gesicht lief ein Zucken. So weit ist er schon wieder, dachte sie. Es gibt gewisse äußere Anzeichen über seinen Grad der Trunkenheit. Wenn er singt, ist er harmlos; wird er still, kann man mit ihm sprechen; wird er weinerlich, muß er ins Bett; tobt er herum und brüllt, muß man selber still sein und abwarten, bis er vom Schreien müde wird und von selbst ins Bett geht. Die letzte Stufe ist, wenn er enthemmt ist, wenn er alle Scham verliert vor den Kindern, den Nachbarn, der Frau, wenn er, wie jetzt in der Toilette steht, die Tür offenläßt und das Geräusch seiner Notdurft durch die Wohnung hallt.
    »Ich konnte ihn nicht festhalten, Mutti«, sagte Heinz leise. »Erst waren wir auf der Post, dann … was sollen wir denn tun, Mutti?«
    Susanne Kaul nickte und klopfte Heinz auf die Wange. Nun kam auch Petra in die Küche, sie weinte und drückte sich gegen die Wand.
    »Setzt euch an den Tisch, Kinder«, sagte Susanne heiser. »Petra, hol die Bratkartoffeln vom Herd, ich komme gleich.« Sie ging aus der Küche und zog die Tür hinter sich zu. Heinz und Petra sahen sich verständnisvoll an.
    »Ob er wieder schreit?« fragte Petra leise.
    »Nein. Heute ist er zu müde.«
    »Wetten?«
    »Um was?«
    »Um zehn Murmeln!«
    »Abgemacht.« Heinz schlich an die Küchentür. »Ich sage, er brüllt nicht. Er geht ja schon ins Schlafzimmer …«
    Peter Kaul sah seine Frau in dem engen Flur stehen, als er von der Toilette kam. Er knöpfte seine Hose zu, grinste Susanne an und ging an ihr vorbei ins Schlafzimmer. Dort zog er den Rock aus und warf ihn über das Bett.
    »Lohntüte ist drin. Hol sie dir …«
    »Wieviel hast du wieder versoffen?«
    »So viel, um glücklich zu sein!« Er setzte sich auf die Bettkante, zog die Schuhe aus, schleuderte sie donnernd gegen den Kleiderschrank und rief dabei: »Bumdabum! Die Musik kommt!«
    In der Küche hielt Heinz die Hand auf. »Zehn Murmeln … er brüllt nicht, er singt!«
    »Aber er wirft die Schuhe herum! Nur fünf Murmeln!«
    »Einverstanden.«
    Die Kinder gingen zum Tisch zurück. Petra holte die Pfanne mit Bratkartoffeln vom Herd, löffelte sich und Heinz den Teller voll und trug die Pfanne wieder zurück.
    »Was dazu?« fragte Heinz.
    »Rote Beete.«
    »Lecker!«
    Sie aßen stumm, ab und zu lauschten sie zur Tür. Sie hörten Stimmen aus dem Schlafzimmer, aber keinen Krach. Es war ein friedlicher Freitag, ja, es war fast ein schöner Tag. Der Papi tobte nicht, morgen war Samstag da lag er sowieso im Bett. Genaugenommen hatte der Sonntag bereits begonnen, festlich sogar, mit Bratkartoffeln und roten Beeten.
    Im Schlafzimmer lag Peter Kaul auf dem Bett, die zerknüllte Anzugjacke unter sich, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und
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