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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit ihren zum Schutz hochgestreckten Armen.
    »Schluß!« schrie der Wachmann. Ehe der Pförtner ein zweites Mal zugreifen konnte, hatte er die Tür aufgerissen und war auf die Straße gestürzt.
    Peter Kaul sah die Gestalt aus der Pförtnerloge rennen und ließ die Hand schlaff an den Körper zurückfallen. Leicht in den Knien schwankend sah er den Wachmann an und hob die Augenbrauen.
    »Nana, Kumpel«, sagte er, bevor der Wachmann ihn ansprechen konnte. »Man wird doch wohl noch Vaterpflichten erfüllen dürfen!«
    »Geh nach Hause, versoffener Hund!« Der Wachmann baute sich vor Peter Kaul auf. Er war einen Kopf größer und fast doppelt so breit.
    Peter Kaul gähnte und winkte dann seinen Kindern zu.
    »So behandelt man euren Papi«, sagte er fast weinerlich. Mit vor Verblüffung offenem Mund sah der Wachmann, wie dicke Tränen in die Augen Peter Kauls traten. »Er hat ein schweres Leben, euer Papi. Alle treten ihn, alle schimpfen mit ihm, alle sind gegen ihn, auch die Mutti … kommt …« Er umfaßte seine Kinder, links den zehnjährigen Heinz, rechts die zwölfjährige Petra, aber es war weniger ein Ansichdrücken der Kinder als vielmehr die Suche nach einer doppelseitigen Stütze, die ihn geradehalten sollte. »Euer Papi muß weinen … Seht euch das an! Alle Menschen sind schlecht zu ihm, alle … Wir gehen nach Hause …«
    Auf die Kinder gestützt, machte er die ersten Schritte. Dann straffte sich seine Gestalt wieder, er ließ die Kinder los, sein Körper hatte wieder die Steifheit einer hölzernen Puppe, sein Gang etwas Automatenhaftes, Aufgezogenes. So gingen sie über die Straße, über den breiten Vorplatz der Fabrik, hinüber zu der Straßenbahnhaltestelle, wo wie ein Bienenschwarm eine Traube Menschen rund um den gelblackierten Eisenpfahl des Haltestellenschildes hing.
    »Versoffener Idiot!« sagte der Wachmann laut. Dann wandte er sich ab und ging zum Pförtnerhaus zurück. Er sah, wie Peter Kaul und die Kinder in die Linie 17 einstiegen und abfuhren.
    »Am Montag ist er wieder der beste Mensch«, sagte der Pförtner und stopfte sich eine Pfeife. »Ich versteh' ja nichts davon, aber irgendwie muß da etwas anderes im Hintergrund sein. Früher war er nicht so … Seit zwei Jahren erst säuft er. Und es wird immer schlimmer. Da steckt was hinter – ich freß'n Besen!«
    »Guten Appetit!« Der Wachmann machte eine Eintragung in sein Wachbuch. 17.20 Uhr. Erster Kontrollgang. »Daß sich um so einen Fall keiner kümmert …«
    Um sieben Uhr abends kamen sie nach Hause.
    Peter Kaul war mit der Straßenbahn bis zum Bahnhof gefahren. Dort stieg er aus und steuerte in seiner hölzernen Gangart dem Postamt zu.
    »Draußen bleiben!« herrschte er die Kinder an. »Ich komme gleich wieder! Was ist das hier?«
    »Die Post, Papi«, antwortete Heinz zuerst.
    »Gut behalten! In der Post gibt's keinen Schnaps! Als Spione eurer Mutter müßt ihr alles gut behalten!«
    Es dauerte noch fast zehn Minuten, bis Peter Kaul aus der Post wieder herauskam. Sein Gesicht war bleich geworden, sein Blick stierte die Kinder an, und als seine Hände über ihre Köpfe fuhren, um ihnen die Andeutung eines Streichelns zu geben, zitterten sie heftig.
    »Ihr seid eine arme Brut«, sagte er langsam. Seine Zunge war schwer und lag unbeweglich im Gaumen wie ein gequollener Kloß. »Ihr habt einen anderen Vater verdient. Ein Mist ist dieses Leben, ein Mist!«
    Von der Post gingen sie zu Fuß nach Hause. Das war ein Fehler und gefährlich. Es zeigte sich schon an der nächsten Ecke, wo eine Wirtschaft war. Peter Kaul strebte auf das breite Schild der Brauerei zu und zog seine Kinder an der Hand mit. »Ihr versteht das nicht«, brummte er, als Petra zu weinen begann und sich sträubte, die Wirtschaft zu betreten. »Erklären kann ich es euch auch nicht! Aber wenn ihr größer seid, werdet ihr's begreifen! Euer Papi muß trinken!«
    »Mutti sagt …« Heinz stemmte sich auch dagegen, durch die Tür in die Wirtschaft gezogen zu werden.
    »Mutti!« Peter Kaul blieb stehen und wischte sich mit beiden Händen über die Augen. »Das ist alles furchtbar … Mutti, ihr, Gundi, das Leben … man kann es nur ertragen, wenn man trinkt. Kommt!«
    »Nein, Papi. Wir sollen doch nach Hause kommen!« Petra umklammerte seine Hand. »Bitte, Papi …«
    Der Kopf Peter Kauls pendelte hin und her, als säße er auf einer Spirale. Er roch den Bierdunst aus der Wirtschaft, er schmeckte die Schärfe des Schnapses schon auf der Zunge, er spürte den alles Leid so
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