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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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empfand große Sehnsucht nach Schlaf und Träumen. Der Alkohol lag beseligend dumpf auf seinem Gehirn, er spürte kaum noch Erdenschwere in den Gliedern, und was Susanne zu ihm sagte, hörte er wohl, aber er begriff es nur zur Hälfte.
    »Ich halte das nicht mehr aus!« sagte Susanne. »Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende! Wovon soll ich die Miete bezahlen, die Raten für das Fernsehgerät, das Radio, den Eisschrank und die Waschmaschine? Jede Woche stehen sie vor der Tür und halten die Hand auf, und jede Woche muß ich sagen: am nächsten Freitag. Kaufen, Verträge abschließen, stolz alles herumzeigen – das haben wir und das und das – aber wenn dann die Raten kommen, ist kein Pfennig da, und sie holen uns die Sachen wieder aus der Wohnung!« Sie schwieg und starrte auf ihren Mann. Peter Kaul lag auf dem Rücken, mit geschlossenen Augen und halb offenem Mund. »Hörst du mir überhaupt zu?« schrie sie. Kaul zuckte etwas zusammen.
    »Aber ja.«
    »Ich kann nicht mehr, Peter! Eines Tages hänge ich mich auf!«
    Er öffnete die Augen, sein stierer, glasiger, im Alkohol schwimmender Blick suchte sie.
    »Erst bin ich dran, Susi«, sagte er mit schwerer Zunge.
    »Warum tust du das denn, Peter?« Sie setzte sich neben ihn und weinte plötzlich. Er tastete nach ihr, seine Hand legte sich auf ihren Oberschenkel. »Was hast du denn davon, wenn du trinkst? Sei doch vernünftig … du ruinierst uns doch alle. Denk doch an die Kinder, wenn ich dir schon unwichtig geworden bin. Welch ein Schauspiel bietest du ihnen denn? Wie sollen sie zu ihrem Vater aufsehen können? Peter …«
    »Die Kinder!« In seinen Augen blitzte es auf. »Spione sind es! Spione ihrer Mutter! Pfui Deibel!«
    »Ich habe gedacht, wenn du die Kinder siehst, läßt du das Trinken sein.«
    »Gedacht! Haha! Sie hat gedacht! Ich saufe, wann ich will!« Peter Kaul dehnte sich. Ruhe, dachte er. O komm doch, süße Ruhe! Komm, du Traum von Wiesen und schneebedeckten Bergen …
    »Bedeuten wir dir denn nichts mehr?« Ihre Stimme war ganz klein und weinerlich. Sie beugte sich über das bleiche, etwas aufgedunsene Gesicht, überwand ihren Ekel vor dem Schnapsatem und legte ihr Gesicht auf seine Brust. »Peter, wir waren doch so glücklich … es war doch alles so schön … bis vor zwei Jahren … Soll denn alles zusammenbrechen?«
    »Ruhe …« Peter Kaul dehnte sich wohlig. Wärme durchrann ihn. Die Sonne scheint schon, dachte er glücklich. Gleich weht der Wind über die blühenden Gräser, ich höre die Kuhglocken. O Susanne, du wirst nie begreifen, wie herrlich es ist, betrunken zu sein, so herrlich betrunken wie ich …
    Susanne erhob sich vom Bett. Er schlief, sein Atem ging rasselnd, seine Brust zuckte dabei, aber sein Mund lächelte und war kindlich wie der Mund Petras, wenn sie schlief.
    In der Küche saßen die Kinder noch am Tisch und tranken ein Glas Milch. »Wo gehst du hin, Mutti?« riefen sie, als sie Susanne im Mantel hereinkommen sahen. »Was macht Papi?«
    »Der Papi schläft.« Susanne atmete schwer. »Zieht euch schon aus und geht ins Bett. Ich komme gleich wieder. Ich mache nur schnell noch einen Besuch. In einer Stunde bin ich wieder da. Schlaft schön.«
    Sie gab Petra und Heinz einen Kuß und verließ dann schnell die Wohnung.
    Es ist die letzte Rettung, dachte sie. Und es ist mein letzter Weg. Wenn er umsonst ist, bleibt nur noch das Chaos. Wenn Gott nicht helfen kann – wie soll es da der Mensch?
    Sie lief durch die abendlichen stillen Straßen, bis sie den schlanken Kirchturm der St.-Christophorus-Kirche sah. Da wurden ihre Schritte langsamer, aber auch bestimmter und fester. Vor dem Pfarrhaus blieb sie stehen, schlug den Mantelkragen hoch, als regne es, und schellte.
    Sie mußte dreimal schellen, bis sie hinter der Tür Schritte hörte.
    Hans Merckel, der Pfarrer von St. Christophorus, war etwas ungehalten, als ihm seine Haushälterin so späten Besuch meldete. Er war dabei, seine Sonntagspredigt auszuarbeiten, und es war ein ungeschriebenes Gesetz im Pfarrhaus, daß bei dieser Arbeit keinerlei Störungen den Gedankenfluß Hans Merckels unterbrechen durften. Ja, er schloß sich zu dieser geistigen Arbeit sogar in seiner Bibliothek ein und brauchte eine ganze Zeit, bis er öffnete. Meistens war er dann wie weltentrückt, ganz aufgegangen in dem Text, den seine Predigt erklären sollte.
    Auch an diesem Freitagabend hatte sich Pfarrer Merckel eingeschlossen, um ein besonders schönes Bibelwort in eine Predigt zu kleiden. »Sehet, ich
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