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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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steckt. Peter Kaul, erst 35 Jahre alt, seit dreizehn Jahren verheiratet mit Susanne, geborene Kullenbach, Vater Eisendreher bei Krupp, mit 40 Jahren Invalide, weil er mit der rechten Hand in die Drehbank langte, der Idiot! Dann gestorben an Lungenentzündung, weil er unbedingt bei Regenwetter Dahlien setzen wollte, in seinem Schrebergarten, draußen vor den Toren Essens.
    Und die Mutter Kullenbach? Hatte Krebs. Brustkrebs. Erst die eine Brust weg, dann die andere. Und dann bestrahlt. Aber völlig sinnlos, denn da waren die Metastasen schon in der Lunge, im Brustkorb und im Gehirn. Junge, war das ein Theater! Die letzten Wochen tobte sie nur herum und mußte ans Bett gefesselt werden. Und statt zu beten: »Lieber Gott, mach sie gesund«, haben wir alle gebetet: »Lieber Gott, mach ein Ende!«
    Und dann die Kinder. Petra, das kluge Mädchen, und Heinz, der Bengel, der Elektrolokführer werden will. Und Gundi, das Engelsköpfchen, das blöd sein soll, für immer blöd, weil er, der Peter Kaul, dieses Riesenschwein von einem Menschen, es im Suff gezeugt hat, gegen den Willen Susannes. Vergewaltigt hatte er sie, seine eigene Frau hatte er unter sich gezwungen, hatte ihr den Mund zugehalten, hatte sich in den Handballen beißen lassen, hatte sie gewürgt, bis sie wehrlos war. Und nun war es blöd, das Engelchen Gundi mit den wunderschönen Ringellöckchen.
    Wie sinnlos das alles! Wie völlig sinnlos dieses ganze Leben! Wohin man sieht: nur nackte Sinnlosigkeit!
    Peter Kaul nickte wie eine aufgezogene Puppe, deren Mechanismus zum Nicken zwingt. Er setzte sich in das Ufergras, zog seine Schuhe aus, seine Socken, stellte die Schuhe nebeneinander, so wie man sie vor Hotelzimmer stellt, damit der Boy sie zum Putzen abholt; er zog seine Hose aus, faltete sie auf Kniff und legte sie neben die Schuhe, er entledigte sich mit einem Ruck der Unterhose, streifte das Unterhemd zusammen mit dem Oberhemd über den Kopf und beugte sich dann nackt zum Wasser vor. Was er tat, war ebenso sinnlos wie seine Ansicht vom Leben … In dieser letzten Minute seines Daseins bemächtigte sich seiner ein verrückter Korrektheitskomplex. Er vollführte Handlungen, an die er früher nie gedacht hatte.
    Nackt wurde ich geboren, dachte er sogar, und für ihn war dieser Gedanke etwas ganz Natürliches, das zu dieser Situation gehörte. Nackt will ich sterben. Ich will nichts mitnehmen als das, was ich bekommen habe – meinen Körper! Ich will im Tod befreit sein von allem, was ich in diesem widerlichen Leben mit mir herumtrug … Socken, Schuhe, Unterhose, Unterhemd, Oberhemd, Hose … eigentlich hätte ich vorher baden sollen, um auch den irdischen Dreck hierzulassen.
    Von irgendwoher, gar nicht weit, hörte er Stimmen. Sie suchen mich, dachte Peter Kaul und ballte die Fäuste. Susanne hat die Polizei alarmiert. Funkstreifenwagen, Feuerwehr, Krankenwagen. Es ist zum Kotzen! Nicht einmal sterben kann man mit der Konzentration, die dazu nötig ist! Nicht einmal dann lassen sie einen in Ruhe, wenn man nackt ist und das ungewollte Leben zurückgeben will. Was beweist mehr die Grausamkeit des Lebens als diese Minute, in der man noch nicht einmal glücklich sterben darf …
    Peter Kaul machte den ersten Schritt ins Wasser der Ruhr. Er spürte nicht, wie kalt es war. Er sah nur den silberglänzenden Leib des Fisches und umging ihn, als könne er die Ruhe des Todes stören.
    Wie schön du aussiehst, Fisch, dachte er. So schön noch im Verwesen. Wir Menschen sehen nicht so schön aus. Eine Wasserleiche ist etwas Widerliches, glaube es mir. Sie quillt auf wie ein Hefekloß, sie wird matschig und glitschig, und sie stinkt erbärmlich. Aber was kümmert das dich und mich, nicht wahr? Wir sehen's und riechen's nicht mehr. Wir haben Ruhe, endlich Ruhe, du, silberner Fisch, und ich, der nackte Mensch. Du brauchst keine Angst mehr zu haben vor dem jagenden Hecht, ich brauche keine Angst mehr zu haben vor den jagenden Menschen. Wie schön das ist, lieber Fisch. Wie herrlich, herrlich, herrlich …
    Plötzlich überkam ihn die Verzweiflung. Er weinte, stand bis zu den Knien im kalten Wasser, starrte über den Fluß, über die Strudel, über die buschbewachsenen Ufer, hinter denen Kartoffeläcker leicht den Hang hinaufstiegen, Kohlfelder und ein Roggenacker. Darüber begann ein lichter Laubwald. Und darüber war der Himmel, ein merkwürdig heller Himmel, in dem der runde Mond schwamm wie ein beleuchteter Fußball.
    Vollmond. Peter Kaul schluckte. Stärker als seine Trauer,
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