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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sorgen, ich will nicht im Sumpf verkommen! Hörst du mich? Ich gehe! Für immer! Und wenn ich alle Erinnerungen an dich auslöschen könnte, eins wird immer bleiben, was mich an dich Satan erinnert: Gundi! Ich weiß jetzt, was sie hat. Man will es mir nur nicht sagen. Ich habe sie mir heute genau betrachtet … blöd ist sie! Meine süße Gundi ist blöde! Weil du es im Suff gemacht hast, vergewaltigt hast du mich, du Lump! Das war das Letzte!« Sie ging aus dem Schlafzimmer, nebenan zu den Kindern, um sie zu wecken.
    Peter Kaul richtete sich auf. Am Kopfteil des Bettes zog er sich hoch und wankte in die Küche. Die kühle Nachtluft hatte sein Hirn klarer gemacht, wenn auch die Alkoholschwere noch in seinen Gliedern lag. Er hatte alles verstanden, was Susanne gesagt hatte, und es war etwas in ihm explodiert, wofür er keine Erklärung wußte. Schluß, das wußte er, Schluß muß ich machen! Einfach Schluß. Dann ist Ruhe in der Welt der Kauls.
    Er schleppte sich zu dem alten, schäbigen Kinderwagen, beugte sich über das schlafende Köpfchen und starrte Gundi an. Sie hatte die Fäustchen geballt und schlief mit offenem Mund.
    Blöd, dachte er. Sie ist blöd. Und es ist meine Schuld, ganz allein meine Schuld. Das ist etwas, von dem mich keiner freisprechen kann … kein Pfarrer, kein Gericht, auch Gott nicht. Ich habe ein Leben um das Leben betrogen.
    Er sah Gundi noch einmal an, streichelte unbeholfen über das deckende Kissen und schwankte dann aus der Küche. Susanne sah aus dem Kinderzimmer. Er hörte Petra und Heinz leise weinen.
    »Leg dich hin«, sagte sie laut. »Schlaf dich aus!«
    »Nein!« Er sah Susanne aus großen Augen an. »Nein! Es wird anders werden … alles wird anders werden …« Er beugte sich plötzlich vor, so schnell und unverhofft, daß Susanne nicht mehr ausweichen konnte. Mit beiden Händen stieß er sie ins Kinderzimmer, warf die Tür zu und schloß sie von außen ab.
    »Ich gehe!« schrie er und warf die Arme empor. »Sucht mich nicht! Ich will Schluß machen! Ich will euch erlösen …«
    »Peter!« schrie Susanne, und rüttelte an der Tür. »Peter, mach auf!«
    Peter Kaul hörte es nicht mehr. Er war schon auf der Treppe und rutschte sie fast hinunter. Auf der Straße sah er noch einmal zurück zu dem Häuserblock, zu den Fenstern seiner Wohnung. Das Kinderzimmerfenster wurde jetzt aufgerissen … der Kopf Susannes erschien, daneben die Köpfe von Heinz und Petra.
    »Papi!« riefen sie grell.
    Da lief er … lief, als hetzten sie ihn … Zur Ruhr, dachte er. Irgendwo in den Büschen an der Ruhr wird Friede sein. Ich bin ja nicht mehr wert, zu leben …

2
    Wie lange er rannte, wußte er nicht. Wer mit dem Leben bereits abgeschlossen hat, zählt nicht Minuten. Er wußte auch nicht, wohin er rannte. Wie ein blindgeschossenes Wild hetzte er ziellos durch die Straßen, kam über Wiesen, lief am Rand eines Fußballplatzes vorbei, schlug sich durch Buschwerk und hohes, nasses Gras, sprang über weichen Boden und riß sich beim Laufen das Hemd vor der Brust auf, zog seine Jacke aus, warf sie weg, und während er lief und lief und vor sich hin heulte wie ein getretener Hund, spürte er eine ungeheuere Erleichterung in seinen Gliedern in seinem Hirn, in seiner Seele.
    Sterben, dachte er immer wieder. O seliges Sterben! Ruhe haben! Vor Hubert Bollanz, vor dem Pfarrer, vor Susanne, vor den Kindern, vor der Witwe Milbach und ihren fünf Kindern, vor dem Gewissen, das immer wieder schreit: Du hast Johann Milbach getötet! Und Ruhe vor dem Schnaps, vor dem in der Kehle brennenden Wasser, das sich im Magen sammelt, die Magenwände kratzt, das nach vier Gläschen schon zum Kotzen reizt und das doch so wichtig ist, so gottgesegnet, denn es schenkt Vergessen, Wegschweben in eine Welt, in der alles schön und leicht und unkompliziert ist. Eine Welt, in der alle Weiber wie Engel aussehen und Schlote der Fabriken wie riesige duftende Blütenbäume.
    Plötzlich stand er an der Ruhr, im hohen Gras, umgeben von Weiden- und Rotdornbüschen. Das schmutzige Wasser gluckerte, zwischen einigen großen Steinen sprudelte ein Strudel. Ein toter Fisch wiegte sich am seichten Ufer. Sein silberglänzender Schuppenbauch tanzte, nach oben gedreht, zwischen Algen und Tang.
    Peter Kaul starrte in das Wasser.
    Hier ist die Welt also zu Ende, das dachte er nun doch. Hier wird der Peter Kaul sich ersäufen, wie man kleine Katzen ersäuft, nur auf den Sack kann er verzichten, in den man die kleinen Viecher im allgemeinen
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