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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino
Autoren: António Lobo Antunes
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    Den Koffer hinter sich herschleifend, verließ er inmitten seiner Kameraden die ausgeblichene Kaserne und sah sogleich auf der anderen Seite des Zaunes auf dem Bürgersteig eine Art Meeresungeheuer aus Gesichtern, Körpern und Händen, das sie im Zwölfuhrmittagsgrau von Encarnação erwartete, in dem die Ampellichter aufs Geratewohl schwebten wie im Nebel hängende Früchte aus Licht. Irgendein unsichtbares Flugzeug pfiff über den Wolken. Ein Trupp Kadetten kam im Laufschritt vorbei, kaute den Schotter des Kasernenhofes mit den Kiefern der riesigen Stiefel, von einem Unteroffizier angefeuert, dessen leere Augen denen der Porzellanhunde in den Vitrinen ähnelten.
    – Was für ein beschissener März
    beklagte sich der Gefreite links neben ihm, der als Fahrer gearbeitet hatte und einen Sack über der Schulter trug, der voll von dem afrikanischen Plunder war, den zerlumpte, einarmige Schwarze den Soldaten auf Urlaub in den Cafés von Lourenço Marques aufs Auge drücken: Pfeifen aus Blech, Armreifen aus Draht, fürchterliche, mit dem Taschenmesser unterm Wellblech der Elendssiedlungen eilig hergestellte Götzen. Und er dachte, Ich bin in Lissabon und in Mosambik, sehe gleichzeitig die Häuser der Sozialsiedlung und die Bäume im Busch, die kleinen, gichtigen Gärten und die von Maschinengewehren verwüsteten Strohhütten, den Oktopus mit seinen fröhlich sehnsüchtigen Armen, der uns ruft, und die ungeheure, gigantische Stille, die den Hinterhalten folgt und von einem leisen Wimmern erfüllt wird, wie vom Klagen des Regens: er spähte unter den Mercedes auf dem Pfad durch den Busch, und der Typ, der drei Handbreit über ihm im doppelstöckigen Bett schlief, starrte ihn bereits mit der geistesabwesenden
Zerstreutheit Verstorbener bei Totenwachen an, deren Lächeln mild geworden ist wie die liebenswürdige Gleichgültigkeit auf Fotos. Er sah den Kommandeur wieder, wie er sich in der Turnhalle der Kaserne vom Bataillon verabschiedete, das ätzende Glitzern der randlosen Brille, die Finger, die sich weich zu den in Habtachtstellung stehenden, fast an die Rückwand gelehnten Soldaten ausstreckten, und dachte, Ich bin immer noch in Mosambik, sitze innerhalb des Stacheldrahtverhaus an der Bar und schaue dem Herannahen der Nacht zu: der Sanitäter hatte beim Abendessen die Tabletten gegen Malaria ausgeteilt, ein feiner Nieselregen fällt am Nachmittag in Encarnação, am Nachmittag in Lissabon, läßt aus den Kisten den sanften Duft nassen Holzes aufsteigen, den runden Erdgeruch, und bald darauf werden Hunderte von Insekten auf dem Teerbelag erscheinen und sich summend in den Straßen verteilen wie im Buschwerk von Omar, bis sie ganz allmählich in der Ferne in der Dunkelheit der Unterstände verschwinden. Der Gefreite, der Fahrer gewesen war, wechselte seine Last von einer Schulter auf die andere und atmete empört die Feuchtigkeit der Luft ein:
    – Das ist vielleicht ein Scheißwetter hier.
    Die Köpfe drängten sich an die Gitterstäbe, die Gesichter barsten in riesigem Gelächter, wirre, schrille, vermengte Stimmen riefen uns. Ein alter Unteroffizier in weißem Kittel erschien gelangweilt rauchend an der Tür eines Gebäudes mit einem roten Kreuz auf der Fassade, schlurfte wieder hinein, und der Soldat sah die Ecke eines Schreibtisches, Glasschränke, die Skala mit den immer kleiner werdenden Buchstaben, die dazu diente, Kurzsichtigen Beklemmungen zu verursachen. Lissabon, dachte er enttäuscht, achtundzwanzig Monate träumt man von dieser verdammten Stadt, und am Ende ist Lissabon das hier, während ein Bierlastwagen auf dem Schotter quietschend am Wappentor und am Spielzeuggewehr der Wache vorbeifuhr, Bruchstücke von Sandeman Portwein und Binaca Zahnpasta auf den Dächern auftauchten, die Offiziere in der Messehütte Karten spielten und auf
die Abendsuppe warteten. Doch heute würde es keine Angriffe geben, es würde nie mehr Angriffe geben: es war Schluß mit den Pfaden durch den Busch, den Bombardierungen, dem Hunger, den Massakern, und da bin ich wieder im Encarnação-Viertel und bei den wie kariöse Zähne faulen Häuschen in der Nähe der stinkenden offenen Kiefer der Siele, auf denen Kapverdianer mit gezückter Hacke lustlos hämmern.
    – Das gibt garantiert eine Grippe, prophezeite der Fahrer, acht Tage Wärmflasche und Zitronentee, bis das Niesen vorbei ist.
    Er schwitzte in der Koje, die Waffe am Kopfende und unendliche Müdigkeit in den Gliedern, Ich werde sterben. Der Arzt betrachtete ihn zerstreut,
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