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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino
Autoren: António Lobo Antunes
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noch immer in Afrika, verfolgen noch immer die Spuren der Kerle, durchqueren immer noch die weiße Stummheit der Kriegsmorgen, stinken nach dem Maniok der Bastmatten und nach dem langsamen Geruch der Schwarzen, stehen immer noch vor dem explodierten Unimog und der aus den Fugen geratenen Wirbelsäule des im Lenkrad erhängten Fahrers. Er trat, den Koffer ziehend, aus dem Wappentor und suchte mit den Blicken, ohne sie zu finden, die Bushaltestelle: Scheiße, sogar die Autobushaltestellen sind in diesem Land nicht mehr da, wo sie waren. Die Leute gingen in mechanischer Hast an ihm vorbei, Gesichter, Brüste, Glieder bewegten sich mit wirrer Schnelligkeit. Ein Blinder tastete flink die Ecken mit seinem Aluminiumstock ab, der Lautsprecher irgendeiner Verlosung glitt, von einem gebieterischen Lieferwagen
herabbrüllend, vorüber: verschwunden waren die Typen mit der speckigen Aktentasche und dem dreckigen Hemdkragen, die in den Straßencafés am Meer den Soldaten, die sich einschifften, afrikanisches in portugiesisches Geld umwechselten, zwölf für hundert, fünfzehn für hundert, einundzwanzig für hundert, dreißig für hundert. Kein einziger Umriß klebte mehr an den Gitterstäben, ein rotblonder, mit Sommersprossen übersäter Junge, der den Korb eines Krämerlehrlings auf der Schulter trug, erklärte ihm, Gehen Sie zwei Blocks runter bis zum Elektroladen, da bekommen Sie den Siebenundvierziger. Die Iris des Jungen waren grün, umringt von winzigen gelben Sprenkeln, der Regen glich feuchtem, zart in der Luft glitzerndem Staub, die Holzhütten der Zigeuner umgaben das Stadtviertel mit dem stinkenden Chaos eines afrikanischen Slums: Kinder, humpelnde Esel und auf den Wellblechplatten der Dächer Steine und Autoreifen. Ob es das enge Haus in Buraca hinter den Eisenbahnschienen und dem traurigen Nachtgeheul der Züge noch gab? (Der Koffer streift die Fersen wie ein Schwanz.) Das Foto meines Neffen in einem Muschelrahmen auf dem protzigen Fernseher? Im Gehen versucht er sich an die Zimmer zu erinnern: das Bad, das Schlafzimmer, die Deckel von Pralinenschachteln, die an den Wänden als Bilderrahmen dienen, die ständig kaputte Wasserspülung, die die Streben der Fenster wie Knochen rappeln läßt. Leute, fast alles Frauen, standen schweigend da und warteten auf den Bus: Morgen, sang man in Angola, als ich mal dort war, oder eine Kerze in Muxima anzünden, ich werde zum Fort von São Paulo gehen, werde das gallefarbene Wasser der Bucht ansehen. Der Siebenundvierziger bleibt schließlich mit einem schrillen Bremsenseufzer stehen, und die Frauen beginnen mit gesenktem Kopf einzusteigen, nachdem die Metalltür sich wie ein Paravent lärmend zusammengezogen hat. Der Fahrer trommelt mit den Fingern auf das Lenkrad und fährt dann unter Blechdosengeschepper unvermittelt an. Der Soldat klammert sich an eines der verchromten Rohre oder an die Lederstreifen, die von der Decke herunterbaumeln,
hält den Koffer zwischen den Knien und erlebt das zitternde Vorüberziehen von unbekannten Straßen, Boulevards, Gebäuden, kleinen ausgemergelten, flusigen Plätzen unter einem Himmel aus Flusen. Hin und wieder klingelt eine Glocke, das Fahrzeug wird unter mehrfachem Federquietschen langsamer und erstirbt schließlich in einem allerletzten Erschaudern: die, die einsteigen, und die, die aussteigen, haben den gleichen sauren, trüben Seitenblick, die gleiche verschossene Kleidung, die gleichen unendlich fernen, gealterten Gesichter. (Als er sich in der Kaserne vom Feldkaplan verabschiedete, dachte er, Diesen Kerl werde ich nun nie mehr wiedersehen, die Stimme von diesem Kerl werde ich nie mehr auf dem Kasernenhof hören, niemals mehr werde ich seinem nutzlosen Lateingebrabbel vor den Särgen lauschen.) Der Bus rollt mühsam und gemächlich an, noch mehr Gebäude, noch mehr Häuser, ehemaliges Brachland, jetzt von einem Hautausschlag aus Hütten bedeckt, Bürgersteige voll Müll, Kindern und Hunden. Wie Hunde und Kinder sich in diesem Land ähneln, dachte er, sich in Afrika ähnelten: der gleiche bettelnde Gesichtsausdruck, die gleichen glanzlosen Haare, die gleichen lilienstengelschlaffen Gliedmaßen. Der Bus fährt ächzend unter einem verfallenen Aquädukt hindurch, biegt in der Nähe der Eisenbahn nach links ab, deren Schienen hin und wieder durch die Lücken in einem Rohrdickicht zu erahnen sind, und beginnt asthmatisch den Hang nach Buraca hinaufzuklettern: Irgend etwas ist hier vertraut, irgend etwas Undefinierbares, Intimes, das ich
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