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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino
Autoren: António Lobo Antunes
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die Hände in den Taschen, eine halbe Stunde später wies ihn jemand an, sich auf den Bauch zu legen, und im selben Augenblick jagten sie ihm eine Spritze gegen Sumpffieber in die Hinterbacke, und der Schmerz breitete sich im Fleisch aus, als würde plötzlich im Hintern ein Backenzahn glühend brennen. Vollkommen reglos, mit geschlossenen Augen, spürte er auf dem Kissen das eigene Blut gegen den Hals hüpfen wie ein verängstigtes Tier, das entwischt, und um ihn herum das ruhige Geräusch der Bäume und der Stimmen, die ihnen von der anderen Seite der Gitterstäbe in wirrem Jubel etwas zuriefen: Jedes Blatt, dachte er, ist eine zitternde Zunge, jedes Auge ein herausstehender Knoten im Holz, jeder Körper ein sich neigender, erschreckender und überschwenglicher Zweig. Der Leutnant von der Allgemeinen Verwaltung kam selbstvergessen an dem im Mercedes ausgestreckten Schatten vorbeigetrabt, dessen Mund sich in einem Seufzer ohne Ende auseinanderzog, und umarmte auf dem Bürgersteig einen alten Mann, der mit der Spitze des Spazierstocks nicht entzifferbare Initialen von Gefühlen in die Luft schrieb. Er stolperte über den Koffer, vermied vorsichtig den Bettnachbarn mit den Füßen, der auf dem Pflaster Lissabons in einer widerlichen Eingeweidepfütze lag, wandte den Blick ab, um das Einschußloch im Ohr nicht zu sehen, und bemerkte, daß der Oktopus aus Menschen, der sie in glücklicher Qual erwartete,
sich am Wappentor in Koliken wand und reckte und dabei die Soldaten einen nach dem anderen unter dem Geheul fleischfressender Küsse verschlang: Sie werden mich auch fressen, befürchtete er, von Panik erfaßt, sie werden mich mit ihren Tentakeln aus Ärmeln, Hemden, Krawatten, Regenmänteln, Hosen und traurigen, abgetragenen Witwenkleidern verschlingen, mir mit ihrer stürmischen, gebieterischen Zuneigung die Gelenke zermalmen. Der Leutnant aus der Verwaltung nahm ein brüllendes Kind auf den Arm, ein Feldwebel verschwand seinerseits in einem Strudel aus Gezerre und Schulterklopfen, und der Soldat erinnerte sich daran, wie er im Busch, den Mörser auf dem Rücken, in der Stille des Morgens schräg durch die Büsche zur verlassenen Eingeborenensiedlung gegangen war, wo ein paar glanzlos laue Glutherde vor sich hin starben.
    – Wenn das Wetter so bleibt, beklagte sich der Fahrer, ehrlich, dann ist nicht mal mit meiner Seele mehr was anzufangen.
    Das Flugzeug brach, die Räder wie Füße aggressiv vorgestreckt, durch die Wolken und näherte sich der verborgenen Piste des Flughafens wie eine große unbeholfene, steife Taube voller quadratischer Fensterporen und einem dicken roten Streifen auf dem Metallrücken. Langsam, mühsam, als fügte er die Teile eines vergessenen Spiels zusammen, stellte er in sich die Stadt wieder her, die er zwei Jahre zuvor unter Schiffsgetute und Militärmärschen verlassen hatte, als das Schiff sich von der Kaimauer löste, vom Gekreisch der Familienmöwen verfolgt, die wie riesige, angstvolle Totenvögel um den Rumpf flogen und über den Olivenwellen die geöffneten Januarregenschirme schwenkten. Es war das erste Mal, daß ich meinen Vater fliegen sah (dachte er, auf der Matratze ausgestreckt, während ihm die Maschinen des Passagierdampfers die Lunge durchwalkten und den Urin in der Harnblase schluchzen ließen), und er flog in meiner Erinnerung in der Spur der sich entfernenden Schiffsschrauben immer weiter und stritt sich mit den Vögeln um sein Gischtabendessen, bis der einzige Brief meiner Schwester in Mosambik ankam:

    Abílio ich hoffe sehr daß du wenn du diesen Brief erhältst bei guter Gesundheit bist wie ich und mein Sohn Gott sei Dank trotzdem Vitor keinen einzigen Centavo für das Kind gibt und mir hier vor der Tür immer noch unglaubliche Szenen macht Schläge Drohungen Gerede Abílio ich habe eine sehr traurige Nachricht für dich es ist nämlich so: Vater hat gestern den Löffel abgegeben als sie im Fernsehen die Volkstanzgruppen gaben und ich hab das erst gemerkt als ich ihm sagte er soll ins Bett gehen ich habe ihm mit dem Finger an die Schulter getippt und er ist zur Seite aufs Sofa gefallen wie eine Puppe und hat natürlich auch noch die Lampe unserer verstorbenen Mutter mit dem Ellenbogen auf den Boden gestoßen die die so durchsichtig ist daß man den Glühfaden sehen kann und die ihr die Dame geschenkt hat bei der sie als Putzfrau gearbeitet hat Dona Márcia vom Kurzwarenladen hat mir versprochen mir eine gute Klebe zu geben gestern haben wir Totenwache gehalten und es
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