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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino
Autoren: António Lobo Antunes
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Nierenschmerzen und einem Lokomotivenheulen in den Ohren auf, das können Sie sich gar nicht vorstellen, Herr Hauptmann.
    Und draußen erwartete ihn Lissabon, geschlossene Läden, packpapiergraue Nebelfalten, Autobusse, die mit ihren Scheinwerferhänden die kältestarre Morgenstille wegschoben, an einer Bushaltestelle ausgeschnittene Pappfiguren, das alles bis um neun Uhr aushalten müssen, um in eine Apotheke gehen und Aspirin kaufen zu können.
    – Ich war damals verheiratet und hatte eine kleine Tochter, sagte der Leutnant und lächelte den Löffeln des Kellners zu, der ihm Fleisch servierte. Ich wohnte in der Rua da Mãe-d’Água neben dem Brunnen, und nach den Intimitäten, selbst wenn der Lichtschalter aus war, sah ich den runden Ball der Papierlampe, die einem riesigen Mond ähnelte, der japanische Gespenster in die Dunkelheit säte. (Der Atem der Frau neben ihm und der Tochter im anderen Zimmer überschwemmten die Wohnung mit einem Raunen aus Geräuschen, die an- und abschwollen wie das leichte Rascheln eines Kleides. Ein elektrisches Haushaltsgerät begann plötzlich im Dunkeln wie ein Traktor zu brummen, der einen Hang hinaufklettert, auf dem Bücherschrank hielten die Zeiger des Weckers reglos die Arme ausgebreitet, und der runde Papiermond schwebte an einem grünen Strick oben von der Decke, angepustet vom süßen Atem der Sterne da draußen, die den Steinen eines unlösbaren Damespiels glichen. Die Zeit, verdammte Scheiße, hat auch mich verschluckt, denkt er, dieses Bier schmeckt nach Bodensatz.) Wenn ich durch die Rua da Mãe-d’Água gehe, erinnere ich mich meistens nicht an das Gebäude, an Inês, die, mir den Rücken zugekehrt, lautlos auf den Turnschuhen in der Küche
hin und her geht, wobei ihr die ausgefransten Jeans auf die Fersen fallen: Sehen Sie, Herr Hauptmann, wie leicht man die Dinge vergißt.
    – An dem Nachmittag bin ich auf Arbeitssuche zu meinem Onkel gegangen. Der Alte hatte einen Lastwagen, machte Umzüge, es bestand die Möglichkeit eines kleinen Anteils am Geschäft, und am nächsten Tag lud ich bereits Kommoden, Tische, Stühle, Waschmaschinen, Klaviere auf und ab, wobei mir zwei arme Kerle im Blaumann mit ausgegangener Zigarette im Mund halfen, die auf dem Rücken, von einem Schulterblatt zum anderen, ILÍDIO in ausgewaschenen Lettern trugen.
    – Du bist also gestern angekommen, wie? bellte lautstark mein Onkel Ilídio aus dem Kabuff von seinem Trümmerschreibtisch, während er, ohne hinzusehen, in saudreckigen Rechnungen wühlte, in dem winzigen Raum, der ihm als Büro diente und der mit Kalendern, Blumentöpfen, Kästen mit Ferngläsern, Spinnweben, Papieren und Schubladenschränken mit Intarsien vollgestopft war.
    Er war ein kleiner, asthmatischer, beinahe glatzköpfiger Mann, dessen Gesichtszüge sich mit einer nicht auf ein bestimmtes Ziel gerichteten Grimmigkeit kosmischen Ausmaßes konzentrierten, die vom schwankenden Lungenvolumen genährt wurde: er schwieg alle paar Minuten, schaute den Bügel an, auf dem der speckige Regenmantel schaukelte, und man sah, wie sich unter dem Hemd die Rippen bang wie die Wammen von Fröschen aufblähten und wieder einfielen.
    – Und kaum von Bord gegangen, pfiff der Alte, erscheinst du hier bei mir und bettelst um eine Anstellung.
    Er betrachtete wütend die Knoten der Finger und bellte ihm aufgebracht zu:
    – Warst du wenigstens so vernünftig, was zu Mittag zu essen?
    – Er war immer so, erklärte mir der Soldat, er war auf sich selbst stocksauer, wenn er jemanden mochte.

    Seine Hand bewegte sich am Körper und fegte Gespenster weg:
    – Er hatte im November eine Thrombose, die hat ihm die linke Seite gelähmt, ich kümmere mich praktisch um alles. Eines schönen Tages pffffft und – man glaubt es kaum, Herr Hauptmann, nicht wahr?
    – Ich habe mich ein paar Tage später wieder bei der Bank gemeldet, sagte der Leutnant. Ich habe mich ins Büro gesetzt, die Tür geschlossen und gedacht, Es hat überhaupt gar keinen Krieg gegeben, ich bin nicht über zwanzig Monate in Mosambik mit einem Gewehr auf dem Rücken rumgerannt, ich habe mir diesen Blödsinn heute nacht ausgedacht: die Ruhr, das abgestandene Wasser, die Toten, die Verwundeten, den Offizier der Pioniere, der einen Arm verlor, als er eine Mine entschärft hat. Ich dachte, Es hat keinen Krieg gegeben es hat keinen Krieg gegeben es hat keinen Krieg gegeben es hat keinen Krieg gegeben, und begann langsam zu vergessen. Als sie mir um elf den Kaffee brachten, hatte ich Lissabon
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