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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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niemand in den Schnee – er hatte noch gesunde Arme und Beine, er trat und boxte um sich, wenn Finger wie Krallen nach ihm hackten, aber er hatte die Nase weggerissen, ein Ohr und ein Auge. Ein kleiner, glühender Granatsplitter hatte ihn gestreift, der Krieg hatte ihn bloß gestreichelt, aber es blieb eine Spur zurück, die den Felix Blattner nicht mehr wie den Jungen vom Allgäu aussehen ließ und die ihn jetzt in Gumrak in einen Viehwaggon verschlug, wo er liegen bleiben und verfaulen würde.
    »Herr Pfarrer …«, hatte dieser Felix Blattner mühsam gesagt, als Hans Merckel von Waggon zu Waggon ging und auch zu ihm zwischen den Sterbenden und Toten hindurchkroch. »Wollen Sie mit mir beten?«
    Und Merckel hatte geantwortet: »Wenn du es willst, mein Junge.«
    »Nein, Herr Pfarrer.« Felix Blattner hatte ihn aus seinem übriggebliebenen einen Auge bittend angesehen. »Aber wenn Sie einen Schnaps hätten … nur einen Schluck, Herr Pfarrer.«
    Hans Merckel hatte ihn. Er schraubte seine Feldflasche auf und hielt sie an den zuckenden Mund des Jungen. Drei tiefe Schlucke nahm er, unter Blut und Kruste ahnte Merckel ein glückliches Lächeln. Dann starb Felix Blattner und er nahm mit hinüber in die ihm immer versprochene schönere Welt das Glück, drei Schluck Schnaps getrunken zu haben.
    Pfarrer Merckel zog die Schiefertafel wieder an sich, wischte die Schrift aus und schrieb in großen herrischen Buchstaben:
    »Ein Glas Schnaps!«
    Dr. Krüger las es, als Peter Kaul die Tafel so hielt, daß alle die Bitte sahen. Er schüttelte den Kopf.
    »Es geht nicht, Herr Pfarrer«, sagte Kaul stockend. »Außerdem haben wir gar keinen hier.«
    Und Merckel schrieb: »Warum lügt ihr alle noch im Angesicht des Todes? Wer unter euch ist ohne Sünde, der werfe den ersten Stein … Selbst ein Mörder hat einen letzten Wunsch frei. Bin ich geringer als ein Mörder?«
    Wortlos verließ Peter Kaul das Zimmer. Nach zehn Minuten trat er wieder ein, in der Hand eine kleine Taschenflasche mit Doppelkorn. Die trüben Augen Merckels begannen wie von innen zu strahlen, seine Hände fuhren hoch. Dr. Krüger trat an das Bett, aber dann senkte er den Kopf und zog sich wieder zum Fenster zurück.
    Langsam schraubte Kaul den als kleinen Trinkbecher ausgebildeten Verschluß von der Flasche, goß den Becher voll und gab die Flasche an Susanne weiter, die sie auf den Tisch stellte.
    Wie gut ich dich verstehen kann, Felix Blattner, dachte Pfarrer Merckel. Ich liege zwar nicht in Gumrak, in einem Viehwagen, in 30 Grad Kälte und verfaule bei lebendigem Leib, aber ich habe, wie damals du, eine hündische Angst vor dem Sterben und eine noch größere Angst vor Gott. Ein Priester sollte so etwas nicht kennen, für ihn sollte der Tod die höchste Erfüllung seiner irdischen Laufbahn sein – aber ich bin anders, ich bin jetzt nur noch ein erbärmlicher, armseliger Mensch, der nichts vorzuweisen hat, was Gott milde stimmen könnte. Ich habe Angst, weiter nichts.
    Er hob den Kopf. Peter Kaul schob das Kissen unter seinen Nacken, stützte den Kopf Merckels und setzte ihm den Kunststoffbecher an die Lippen.
    Gierig trank Merckel, der Alkohol brannte in ihm hinunter, erreichte die Operationsstelle im Ösophagus, riß eine Hölle auf und verwandelte sein Hirn in einen feuerspeienden Berg.
    »Oh!« stöhnte er. Ganz klar und deutlich: »Oh!« Dann fiel er in den Armen Kauls zurück, es war ihm, als würde sein Herz mit dem Gehirn aus ihm herausgeschleudert, alles in ihm brannte, Fegefeuer, durchjagte es ihn, Fegefeuer, es gibt das Fegefeuer … Oh, mein Gott, verzeih deinem Sünder …
    Dr. Krüger beugte sich über den Toten und drückte ihm die Augen zu. Am Fenster betete die Schwester, Susanne nahm die Hände Merckels und fügte die Finger zusammen. Langsam, wie er sie aufgeschraubt hatte, schraubte Peter Kaul die Flasche wieder zu.
    Über den mächtigen Bärenschädel des Toten zog Dr. Krüger ein Leinentuch. Der Pfarrherr von St. Christophorus hatte endlich Ruhe, vor den Menschen und vor seinen Fragen an Gott.
    Ihn umwehte noch immer ein Geruch von Destille, als Dr. Linden an das Bett trat, das Tuch von dem gewaltigen Schädel zog und in das friedlich schlafende gelbe Antlitz sah.
    »So stirbt ein Held«, sagte Dr. Linden laut und sah die das Bett Umstehenden einzeln an. »Man braucht dafür nicht immer ein Schlachtfeld …«
    Aus der Schweiz, aus der Clinica Santa Barbara, von dem stets fröhlichen Dr. Hütli, war ein neuer Brief gekommen.
    Er traf an dem
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