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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Autoren: Bill Clegg
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werde ich mir meines Körpers bewusst, und meine Kleider stören mich. Zwischen dem ersten und zweiten Hit ziehe ich Jacke und Pullover aus. Sie erscheinen mir als Teil einer Zwangskostümierung für den Auftritt draußen und völlig überflüssig. Beim dritten Hit bin ich nackt, nehme mir aber ein Handtuch aus dem Bad und schlinge es mir um die Hüfte. Das mache ich immer, wenn ich dröhne. Ich finde meinen Oberkörper schlank, muskulös und sexy. Wenn ich mich im Spiegel betrachte, denke ich jedes Mal, nicht schlecht. Dann fällt mir eine Variante des Spruchs aus Ben Neiharts Roman
Hey Joe
ein, wo der Erzähler sich im Spiegel mustert und selbstzufrieden denkt, dass er
wirklich gut beisammen
ist. Ehrlich gesagt, das macht mich an.
     
    Ich schiebe mir das Handtuch tiefer auf die Hüfte, ziehe es ein wenig straffer, und hätte auf einmal gern Gesellschaft. Ich rufe die Nummer des Taxifahrers an, aber niemand meldet sich, und die Mailbox geht nicht an. In der nächsten Stunde probiere ich das rund dreißig Mal. Ich lege den restlichen Inhalt der Tüte in einen Aschenbecher, und es sieht mir nach wahnsinnig viel aus. Bei den nächsten Hits schludere ich. Bald sind die Bettdecke und der Fußboden voller Krümel. Ich weiß, dass ich sie irgendwann auf allen Vieren zusammensuchen werde und dann die Crackkrümel aus dem anderen Kniest herauspicken muss. Crackrauchen zwingt mich immer in die Knie, so dass ich manchmal stundenlang auf Teppichböden, Läufern, Linoleum oder Fliesen herumrutsche, Katzenhaare, Fusseln und Dreck genauestens durchsiebe und wie ein Irrer den Boden nach Bröseln abtaste. Ich weiß, dass es darauf hinausläuft. Bei den nachlässigen, weitstreuenden Hits am Anfang betrachte ich den Boden jeweils als eine Art Altersversorgung. Auf die Kante gelegte Bröckchen, an die ich mich später halten kann. Es wird mir ein Trost sein, dass ich noch was in petto habe, wenn sich die Tüte leert; dass ich etwas zu tun habe, während ich auf die nächste Lieferung warte. Aber am Anfang, wenn ich aus dem vollen schöpfe, ist das immer weit weg.
     
    In dem Zimmer im Marriott am Flughafen Newark flimmern wie meistens, wenn Crack im Spiel ist, Pornos über den Bildschirm. Soft und hetero diesmal, im Bezahlfernsehen. Ich zahle für alle sechs Streifen und zappe hin und her, wenn eine Szene schwach ist oder langweilig wird. Erst, als ich die kleine Flasche Weißwein, die zwei Bier und die beiden kleinen Wodkas aus der Minibar getrunken habe, fällt mir ein, dass ich zurück zum Flughafen und zu meinem Flieger muss. Da ich noch jede Menge Crack im Aschenbecher habe, überlege ich, ob ich das wirklich machen soll.
     
    Aber ich mach’s. Ich lasse das Röhrchen abkühlen und wickle es dick in Papiertücher. Ich nehme die zwei Steine und die verbliebenen Krümel aus dem Aschenbecher und stecke sie wieder in das Ziploc-Tütchen, in dem ich sie bekommen habe. Dann werfe ich das Handtuch hin, ziehe mich rasch an und stecke Pfeife, Tüte und Feuerzeug vorn in meine Jeanstasche. Ein Dutzend mal sehe ich mich prüfend im Zimmer um. Wische sämtliche Ablagen und hebe jeden erkennbaren Krümel vom Boden auf. Mindestens dreimal packe ich Tüte, Pfeife und Feuerzeug wieder aus, um mir noch einen letzten Hit zu genehmigen, bevor ich gehe, und für die Lobby und den Flughafen genau in der richtigen Verfassung zu sein. Als ich dann losfahre, bleibt mir keine Stunde mehr zum Einchecken. Noah hat drei- oder viermal angerufen, doch ich habe weder abgenommen noch mir seine Nachrichten angehört.
     
    Ich melde mich im Hotel nicht erst ab. Ich gehe direkt zum Taxistand und nehme den einzigen Wagen, der da steht. Der Fahrer ist ein kräftiger Schwarzer – dick, aber athletisch, Typ Linebacker. Vierzig bis fünfzig. Das vor wenigen Minuten noch heftig beanspruchte Röhrchen brennt wie ein kleiner Ofen in meiner Jeanstasche. Natürlich frage ich ihn, ob er dröhnt. Er sagt
ja
, und ich frage ihn, ob er Crack raucht.
Na klar
, sagt er, und obwohl ich gerade erst eingestiegen bin, weiß ich, dass der Flug gegessen ist. Dass ich wahrscheinlich niemals nach Berlin komme.
     
    Dann lass uns feiern
, sage ich zu dem Linebacker hinterm Steuer, und er sagt,
na klar
. Als wir uns dem Drop-Off für Inlandflüge nähern, sage ich ihm, er solle zurück zum Hotel fahren, ich würde einen späteren Flug nehmen. Er fragt nicht, zögert nicht, sondern sagt erneut
na klar
und wendet. Ich rufe die 800er Nummer der Continental an, sage, ich könne wegen
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