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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Autoren: Bill Clegg
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und ihn zur Puppenspielversion eines Goldgräbers machen, der seine Wanne fieberhaft nach Goldstäubchen absucht.
     
    Mark findet kein Gold. Er legt den Kratzer, die Glassplitter hin, und seine Bewegungen kommen zum Stillstand. Er lässt sich auf die Couch zurücksinken, und man sieht förmlich, wie die Schnüre, die ihn aufrechtgehalten haben, um ihn herum niederfallen. Die Tüte ist leer, und es ist sechs Uhr früh. Wir halten uns seit sechs Tagen und fünf Nächten dran, und alle anderen Röhrchen sind kaputt.
     
    Hinter den heruntergelassenen Rollos wird es hell. Minuten vergehen, und nur das leise Aufheulen der Müllwagen draußen durchbricht die Stille. Ich habe einen pochenden Schmerz im Nacken, und meine Schultermuskeln sind steif und verspannt. Der pochende Schmerz hält Schritt mit meinem Herzen, das gegen die Brust schlägt wie eine wütende Faust. Ich kann nicht stillhalten. Als Mark aufsteht, um das Glas aufzufegen, sehe ich, dass sein Körper im Takt mit meinem wankt, dass unsere Bewegungen synchron sind wie bei Wasserpflanzen, die sich in derselben Strömung wiegen, und es tröstet und erschreckt mich zugleich, wie ähnlich wir uns in dem hoffnungslosen Absturz sind, der kommt, wenn die Drogen ausgehen.
     
    Der schleichende Horror der letzten Wochen – Rückfall; weg von Noah, meinem Freund, knapp acht Tage vor Ende des Sundance Film Festivals; E-Mail an meine Geschäftspartnerin Kate, dass sie mit unserer Firma machen kann, was sie will, weil ich nicht wiederkomme; An- und Abmeldung in einer Entzugsklinik in New Canaan, Connecticut; die Übernachtungen im 60 Thompson Hotel und das Abtauchen in die kniestige Cracklandschaft von Marks Wohnung mit den Schnorrern, die immer da sind, wenn es jemand krachen lässt. Die schrecklichen Szenen der jüngsten Vergangenheit, die immer hinter meinen Augen aufblitzen, wenn sich nicht, klar wie der neue Tag, das Bild der nahen Zukunft vordrängt, in der es keinen Stein mehr gibt und auf Stunden keinen geben wird.
     
    Ich weiß noch nicht, wie ich die trostlosen, flatterigen Stunden durchstehen soll, bis Happy gegen Abend sein Handy wieder einschaltet und Nachschub liefert. Ich weiß noch nicht, dass ich – hier und an ähnlichen Orten – über einen Monat so weitermachen werde. Dass ich dabei fast zwanzig Kilo abnehmen werde und mit 34 dann weniger wiege als in der achten Klasse.
     
    Von dem neuen Schloss an meiner Bürotür weiß ich auch noch nichts. Kate wird das alte auswechseln, wenn sie merkt, dass ich nachts dagewesen bin. Bis dahin sind es aber noch Wochen. Sie befürchtet, ich könnte irgendetwas stehlen, um Drogen davon zu kaufen, dabei gehe ich nur hin, um noch ein paarmal an meinem Schreibtisch zu sitzen. Dem Teil von mir, der wenigstens nach außen hin am besten funktioniert hat, adieu zu sagen. Von dem großen offenen Fenster hinter meinem Schreibtisch blicke ich aufs Empire State Building mit seiner müden Autorität und den Schultern aus farbigem Licht. Die Stadt wird anders auf mich wirken, weniger zu mir gehörig, weiter weg. Und der Broadway, zehn Stockwerke unter mir, wird verlassen sein, eine dunkle Schlucht in Grau und Schwarz, die sich von der 26th Street nach Norden bis zum Times Square erstreckt.
     
    In einer dieser Nächte setze ich mich in das Fenster und lasse die Beine baumeln, drücke mich ganz an den Rand und hocke da vielleicht stundenlang in der kalten Februarluft. Ich gehe wieder rein, setze mich an den Schreibtisch und rauche einen Stein. Ich denke daran, wie aufgeregt alle waren, als wir vor fünf Jahren anfingen. Kate, die Mitarbeiter, unsere Familien. Meine Klienten – Autoren von Romanen und Kurzgeschichten, Lyriker, Essayisten – waren mir von der alten Agentur gefolgt, bei der ich als Assistent angefangen hatte, als ich nach New York gekommen war. Sie folgten mir, und es lag so viel Vertrauen in die Zukunft darin, so viel Vertrauen zu mir. Ich schaue auf die vielen Verträge und Memos und Fahnen auf meinem Schreibtisch und wundere mich, dass ich mit diesen Sachen, diesen Leuten einmal etwas zu tun hatte. Dass man auf mich gezählt hatte.
     
    Auf Marks Couch sehe ich meinen Beinen beim Zittern zu und frage mich, ob er Xanax im Arzneischrank hat. Ob ich gehen und mir ein Hotel suchen sollte. Ich habe meinen Pass dabei, die Kleider, die ich am Leib trage, eine Bankkarte und die schwarze Mütze vom NYC Parks Department, die ich vor kurzem auf dem Rücksitz eines Taxis gefunden habe, mit einem aufgenähten grünen
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