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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Autoren: Bill Clegg
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Toilettenpapier von der Rolle, wickelt sich das Band um die Füße und fängt an, die Urinpfütze am Boden aufzumoppen. Er wischt das Klo und die Wand dahinter und daneben ab. Dann kniet er sich hin und wischt in großen Schwüngen alles trocken. Er tupft sich die Hose mit dem Papier ab, bis es ihm unter den Fingern zerkrümelt. Er wirft zu viel Klopapier in die Schüssel, so dass der Abfluss verstopft und das Wasser hochkommt. Er weiß, dass er das Papier herausziehen muss, um eine neue Schweinerei zu vermeiden. Er greift in den Abfluss, zerrt an dem Pfropfen, und als wäre sein Stoßgebet erhört worden, leert sich das Becken. Genau in diesem Moment geht das Klopfen wieder los, und jetzt stehen beide Eltern vor der Tür. Hose und Unterhose krumpeln sich noch um seine Fußgelenke. Er hat sie noch nicht hochgezogen, weil er weiß, dass ihm jetzt ein wenig Blut aus der Eichel quillt; das muss er erst abtupfen und kurz trocknen lassen. Da ist er oft zu hastig, und dann muss er die Unterhose wegwerfen, weil sich kleine braune Blutflecke gebildet haben und in den weißen Stoff eingetrocknet sind. Klopapier da hineinzustopfen nützt nichts, da es meistens wegrutscht. Manchmal denkt er nicht dran, wirft die Unterhose in den Wäschekorb und findet sie Tage später getrocknet, zusammengefaltet und fleckig in seiner Kommodenschublade wieder. Seine Mutter spricht ihn niemals auf die Unterhosen, auf das Pinkeln an – auf gar nichts. Dabei geht das schon, so lange er denken kann. Er hat keine Erinnerung daran, dass er vor einem Klo steht und einfach pinkelt.
     
    Was
treibst
du denn?,
donnert es von draußen. Sein Vater wieder. Der Junge ruft hinaus, dass er gleich fertig ist, einen Moment noch, und dreht den Wasserhahn auf, um die Geräusche seiner Putzaktion zu übertönen. Er brummelt vor sich hin –
Bitte, Gott, bitte –
; eigentlich brummelt er das schon, seit er sich vor über einer Dreiviertelstunde auf dem Klo eingeschlossen hat. Genauer formuliert er seine Bitte nicht. Seine Hose und sein Hemd sind durchnässt von Wasser, von Urin. Noch einmal tupft er sich mit einem Packen Toilettenpapier ab, das er in den Papierkorb verfrachtet, unter eine lose Papprolle und eine leere Kleenexschachtel. Noch ein letztes Mal wischt er alles ab – den Heizköper, das Klobecken, die Brille, den Fußboden. Dann schaut er sich nach Spuren seines Aufenthalts um. Er wischt sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn und streicht seine Haare glatt. Er holt Luft, spricht noch ein leises Stoßgebet, knipst das Licht aus und hofft, dass auch das Licht im Flur aus ist, damit seine nassen Sachen nicht auffallen.
     
    Er atmet ruhig durch, ergreift die Türklinke und wappnet sich für das, was ihn draußen erwartet. Er ist fünf Jahre alt.

Flug
    Es schneit vor dem Holland Tunnel. Die Autos kommen nicht vorwärts. Hupen und Geschrei. Mein Flug nach Berlin geht in weniger als einer Stunde, das kann ich unmöglich schaffen. Noah ist schon da, er ist vom Sundance direkt zu den Berliner Filmfestspielen geflogen und hat vor zwei Tagen dort seinen Film gezeigt. Ich rufe meinen Assistenten an, der für den Flug um halb sechs einen Wagen um vier bestellt hat, was sich besonders wegen des Schnees nun als zu knapp erweist. Dafür kann er zwar nichts, aber ich halte ihm das vor und sage ihm, dass sich seinetwegen jetzt mein Leben ändert, und zwar nicht zum Besseren. Ich lege auf. Das ist das Letzte, was ich zu ihm sage, zu überhaupt jemandem in meinem Büro.
     
    Ich habe eine fast volle Tüte dabei – drei mittelgroße Steine und etliche Krümel. Ein sauberes Röhrchen und ein Feuerzeug liegen, in ein Geschirrhandtuch gewickelt, zwischen Manuskripten, Jeans, Pullover und einem Haufen Kiehl’s Kosmetik in meiner L. L. Bean-Reisetasche. Die Fahrerin ist eine junge Osteuropäerin mit tiefer Stimme, und ich habe ihr bereits mein »Wenn Sie wüssten, wie wichtig es ist, dass ich rechtzeitig da bin« gesungen, damit sie ihre Zauberkräfte aktiviert und uns über den Stau hinwegträgt. Sie starrt mich bloß im Rückspiegel an. Ob sie merkt, wie fertig, wie durch den Wind ich bin?
     
    Es ist klar, dass mir das jetzt den Rest gibt. Selbst wenn Noah mir noch einmal verzeiht, obwohl er weiß, dass ich drauf bin, seit ich ihn beim Sundance alleingelassen habe – Kate wird es nicht tun. Ich war schon fast zwei Wochen nicht mehr in der Agentur und habe drei Besprechungen abgesagt, bei denen wir endlich unseren Partnerschaftsvertrag und die Finanzen
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