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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Autoren: Bill Clegg
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Telefonnummer weg. Werfe Marks Karte weg. Aber es spielt keine Rolle. Beide rufen in den kommenden Wochen und Monaten an, und irgendwann, ich weiß nicht genau, wann und von wem, schreibe ich eine Nummer auf. Und irgendwann später rufe ich an.

Erste Tür
    Es wird Zeit. Er muss seit Stunden pinkeln, aber das schiebt er immer bis zuletzt auf. Seine Eltern nennen es das Problem;
das Problem
ist, wenn er geht – aufs Klo nämlich –, dann kann er nicht. Es ist noch nicht
genug zusammen
, wie er das bei sich selber nennt. Zu wenig Druck. Deshalb wartet er noch etwas. Bis das Mittagessen vorbei ist, denn danach merkt keiner, wenn er zu lange wegbleibt. Manchmal dauert es eine ganze Stunde. Manchmal geht es überhaupt nicht. Und manchmal dauert’s nur ein paar Minuten. Das stellt sich erst in der Situation heraus.
     
    Nach dem Essen steht er vor dem avocadogrünen Klobecken. Geräusche dringen durch die geschlossene Tür – eine Eiswürfelschale fällt runter, Fluchen, Glas zerbricht, lauteres Fluchen, ein Telefon klingelt. Das Haus ist ein einziges Drängen. Irgendwo aus der Geräuschkulisse ruft eine Stimme, die ihn immer an ein Windspiel erinnert:
Alles in Ordnung, Billy?
     
    Billy
 … ruft seine Mutter noch einmal, doch ihre Stimme verklingt.
     
    Ein paar Augenblicke nichts. Nur das grüne Klobecken.
Beeil dich
, denkt er.
Beeil dich
. Mit den Händen bearbeitet er heftig die Spitze seines Penis. Es klopft an die Tür. Noch mal. Eine andere Stimme. Sein Vater.
Herrgott, Willie, mach doch keine Lebensaufgabe daraus.
     
    Eine Kinderkordhose – meist dunkelblau, manchmal grün – knäuelt sich zu seinen
Füßen. Die Unterhose hängt ihm unter den Knien. Er ist seit über einer halben Stunde da drin. Mindestens dreimal war er nah dran, und dann hat es doch nicht geklappt. Es geht nicht. Er weiß, es wird brennen – als ob Glassplitter rauskämen –, aber er will es endlich hinter sich bringen. Er tänzelt vor dem Becken – links, rechts, links, rechts – und knetet seine Penisspitze. Reibt sie mit beiden Händen. Der Druck nimmt zu, und Schweiß tritt ihm auf die Stirn. Er hat das schreckliche Gefühl, dass er Ärger bekommt, wenn seine Eltern herausfinden, was los ist. Sein Vater hat ihm gesagt, er soll sich gefälligst nicht so lange auf dem Klo aufhalten. Wenn er seinen Sohn fragt, weshalb er da herumhüpft und so eine große Aktion daraus macht, hat der Junge keine Antwort.
Lass das sein
, sagt sein Vater ihm, und er wünschte, er könnte es.
     
    Er dreht den Wasserhahn auf, um sein Gehüpfe zu übertönen. Aus dem Tänzeln wird ein Tanz, aus dem Kneten ein fieberhaftes Kneifen. In einem weit entfernten Zimmer hört er seine ältere Schwester Kim weinen. Sein Vater brüllt ihren Namen. Eine Tür knallt. Seine Mutter ruft. In der Küche pfeift der Wasserkessel. Das alles hat nichts mit ihm zu tun. Aber jetzt klopft jemand – er weiß nicht, wer – an die Tür. Es klopft nur, ohne Worte. Der Junge ist jetzt ein von Panik erfasstes Tier, so zuckt und springt und kneift er sich vor dem Becken. Er macht sich auf das nächste Klopfen gefasst. Hinten im Flur wird wieder geschrien. Etwas zerbricht. Hände, Beine – sein ganzer Körper rotiert um den Druck in der Mitte. Er ist sicher, dass seine Eltern ihn hören können, überzeugt, dass sie jeden Augenblick die verriegelte Tür einrennen. Er will mit dem Springen aufhören, kann aber nicht. Es kommt ihm vor, als ob das ganze Haus – die Eltern, die Schwester, die Katzen, der pfeifende Kessel – sich draußen vor der Tür versammelt hat.
     
    Bald – in dem Augenblick, den er so sehr herbeiwünscht, aber nicht herbeiführen kann – spielt das alles keine Rolle mehr. Dann wird er weder das Türenknallen noch das Klopfen und Schreien hören. Wenn der brennende Druck überhand nimmt und sein Körper unter ihm wegklappt, hört er nichts. In diesem Moment des Überschießens, in dem er jede Kontrolle verliert und sich alles in Schmerz und Erleichterung auflöst, bespritzt er die Wand, den Fußboden, die Heizung und sich selbst.
     
    Er sieht nichts von der Bescherung, bis sein kleiner Sinnesschwund vorbei ist und er sich gerade hinstellen und den Strahl in das Becken lenken kann. Er zielt nach hinten, um nicht das Wasser aufzupeitschen; es geht endlos. Er sieht, dass viel sauberzumachen ist, und fragt sich schon ängstlich, was er sagen soll, wenn er auf der anderen Seite der Tür ist. Als er endlich fertig gepinkelt hat, zieht er meterweise
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