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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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Vorwort: Unsere Zeit
    In einem Lied heißt es: »We are living in the future, I’ll tell you how I know / I read it in the paper, fifteen years ago.« Ich summe diese Melodie vor mich hin, wann immer uns im Fernsehen jemand dazu gratuliert, in der fortschrittlichsten und glorreichsten Epoche aller Zeiten zu leben. So verliert der Diskurs ein bisschen von seiner Ernsthaftigkeit, und ich empfinde geradezu Mitleid für den Lobredner und meine optimistischeren Zeitgenossen. Unser Zeitalter ist fabelhaft, kein Zweifel. Doch die Erwartungsvollen versichern uns schon allzu lange, es werde das wichtigste sein, das einzigartigste von allen – und außerdem das letzte. Die Abrisskalender werden immer dünner, und die Hersteller planen keine neuen Auflagen.
    Mir gefällt es durchaus, modern zu sein. Es ist so leicht, die nötigen Teile zu finden für alles, was man bauen möchte. Betrachtet man jedoch die Blaupausen, die die Aufklärer vor 1810 für uns gefertigt haben, so denke ich nicht, dass sich bei irgendjemandem das Gefühl einstellt, unter wahrhaft meisterhaften Handwerkern zu leben oder dass wir das, was wir heute, erfüllt von einem Gefühl der Verlegenheit, leisten, nicht doch wieder aus der Hand geben werden. Woher kommen das unterwürfige Unbehagen, das Erschrecken und das Misstrauen, die sich heute, im Jahr 2011, einstellen, wenn wir uns daran erinnern, dass wir die Erben Kants, Jeffersons und Joseph Listers sind und dennoch das tun, was wir gerade treiben? Die Welt istnicht in der Utopie angekommen, sie sieht noch nicht einmal deren Leuchten am Horizont.
    Die exzentrischen Umdrehungen des Globus prägen dem Gewebe der Ewigkeit einen Zwischenbericht zum zivilisatorischen Fortschritt auf. Nur wer sehr schlechte Augen hat, könnte annehmen, dieser Report sei das letzte Wort. Wir wollten Paläste des Geistes errichten oder zumindest eine Stadt auf einem Hügel. Stattdessen haben wir die westliche Welt in ein gigantisches Wartezimmer verwandelt, in dem es bunte Magazine gibt und einen Fernseher, der unablässig dröhnt. Wenn der Doktor uns zur Untersuchung hereinruft, drückt er uns ein paar Tabletten in die Hand und schickt uns gleich wieder hinaus, um noch ein bisschen länger zu warten. Wir werden die schlechte Nachricht später erfahren. Wann? Bald, sehr bald.
     
     
     
    Die Milleriten, eine adventistische Bewegung in den USA , dachten, die Welt würde im Jahr 1844 untergehen. Das tat sie nicht. Sie weinten. Sie hielten an ihrem Glauben fest. Auch wenn die Adventisten inzwischen etwas vorsichtiger sind, was die exakte Datierung ihrer Jüngsten Tage angeht, heißt das nicht, dass sie glauben, der Weltuntergang würde sich ewig hinauszögern.
    Der Sozialpsychologe Leon Festinger und seine Mitarbeiter haben die Konsequenzen dokumentiert, die es haben kann, wenn die Welt nicht planmäßig untergeht. Die Chicagoer UFO -Sekte, die sie untersuchten, ging fest davon aus, am 21. Dezember 1954 würde eine große Flut die Erde verwüsten, doch diese drehte sich auch am 22. Dezember weiter. In der Folge wandte sich die zuvorrein private Sekte an die Öffentlichkeit. Als ihr die Blamage drohte, wurde sie schamlos. Dasselbe passiert mit den zeitgenössischen Sektenanhängern, jenen falschen Erben der Versprechen vom immerwährenden Frieden und vom Streben nach Glückseligkeit, die uns die Aufklärung hinterlassen hat. Allzu beflissen verkünden sie, unsere Zeit sei die vollendete Epoche, und alles sei bereits so, wie es sein solle und auch in Zukunft sein werde. Die Uhr tickt über die Stunde der Parusie hinaus, und die umstehenden Beobachter beteuern: Da haben wir uns wohl um einen Tag vertan! Vor dem nächsten Termin müssen wir noch mehr Leuten Bescheid geben! Aber das Ende kommt !
    Wir geben unsere Ängste und Hoffnungen auf dieselbe Weise weiter, wie wir andere bitten, verdorbene Milch zu probieren. Wir teilen unsere Enttäuschungen genauso gerne mit anderen wie die Schönheit eines Sonnenuntergangs.
     
     
     
    Vielleicht lässt es sich ja gar nicht vermeiden, dass Menschen, die überzeugt sind, alles habe einen Anfang, auch daran glauben, alles werde eines Tages untergehen. Ein menschliches Wesen kommt durch einen Tunnel auf die Welt und verschwindet in einem Grab. Wir haben jedoch nicht mit eigenen Augen gesehen, wie die Gesellschaft im hellen Tageslicht ihren Anfang nahm. Vielleicht liegen wir daher falsch, wenn wir annehmen, sie müsse irgendwann enden. Ein Philosoph klagte einst, es gelänge zwar allen, ein Leben
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