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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Autoren: Bill Clegg
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auch war, wenn ich erst wieder auf meinem Zimmer bin und einen langen Zug aus einem der blitzblanken neuen Röhrchen nehme, weiß ich, wird alles okay sein. Dann werden die grimmigen, beängstigenden Wahrheiten, die mich von allen Seiten anblaffen, sich in einer Rauchwolke auflösen.
     
    In der Tat. Es ist ein Uhr, und ich habe einen Riesenbatzen Crack in dem kleinen Aschenbecher auf dem Nachttisch. So viel hatte ich noch nie für mich allein, und ich weiß, dass ich es komplett aufrauchen werde. Ich frage mich, ob irgendwo in diesem Haufen der Krümel steckt, der den Infarkt, den Hirnschlag oder den Herzanfall herbeiführt. Den Anfall, der all das zu einem jähen, willkommenen Ende bringt. Der Brustkorb wummert, die Finger sind versengt, und ich fülle meine Lunge mit Rauch.

Spuckschloss
    Er ist sechs. Er mindert den Wert des Hauses, sagt man ihm. Mindert den Wert durch die bepissten, mit Rost überzogenen Heizgitter im Bad. Erschwert den Verkauf, weil er immer, wenn er rumsaut und sauberzumachen versucht, das Muster von der Tapete hinterm Becken abrubbelt.
     
    Sie sind in dem grünen Volkswagen, und es ist nicht das erste Mal, dass sein Vater ihm das vorgehalten hat. Dass seine Pinkelei die Familie Tausende Dollars kostet, steht seit Menschengedenken fest. Er schweigt wie immer, wenn sein
Problem
zur Sprache kommt. Sein Vater äußert sich in scharfen, prägnanten Ausbrüchen, die er fast immer gleich abschließt:
Also Willie. Reiß dich am Riemen
, oder
Herrgott, Junge, komm zu dir
. Worauf es lange still ist. Man hört nichts im Wagen außer dem leisen Gebrumm von
1010
 Wins
aus dem Radio und wie seinem Vater die Pfeife gegen die Zähne klickt.
     
    Sie sind auf einem Highway, auf der Rückfahrt von Boston. Sie fahren unangenehm schnell, bis sich der Verkehr staut und das Fluchen und Aufs-Lenkrad-Schlagen losgeht. Als sein Vater das Radio leiser dreht und die Heizung reguliert, stellt er ihn sich vor den vielen Lämpchen und Instrumenten im Cockpit der Flugzeuge vor, die er fliegt. Maschinen voller Passagiere, die darauf vertrauen, dass er sie übers Meer bringt, nach London oder Paris. Manchmal – so wie jetzt – kann er sich nicht vorstellen, dass es etwas gibt, was sein Vater nicht fertigbringt.
     
    Der Verkehr wird schlimmer, und sein Vater nörgelt über die Autos vor ihm. Der Junge bleibt still. Er ist froh, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr ihm gilt und dem Grund, weshalb sie heute hier zusammen im Wagen sitzen. Sie waren bei einem Arzt – dem Arzt der Boston Red Sox, hat sein Vater gesagt –, um in Erfahrung zu bringen, was ihm eigentlich fehlt.
     
    Was sich genau im Sprechzimmer des Arztes abspielt, wird er vergessen. Im Auto wusste er es vielleicht noch und hat darüber nachgedacht, vielleicht war es ihm aber auch da schon nicht mehr präsent. Jedenfalls wird er jahrelang versuchen, es sich in Erinnerung zu rufen, aber das Einzige, was dann hochkommt, ist die Autofahrt selbst. Sind die alten Sprüche, dass er das Haus ruiniert, und die merkwürdige, beinah sexuell aufgeladene Stimmung des Tages – ging es doch dauernd um Penisse und Pinkeln. Die ganze Tour hatte etwas Verstohlenes und Verschämtes, angefangen mit der verkniffenen Ankündigung seiner Mutter beim Frühstück, dass er und sein Vater nach Boston zum Arzt fahren würden. Er erinnert sich, wie besorgt und abwesend sie ausgesehen hat. Er erinnert sich, dass er sich gewünscht hat, das Auto würde in voller Fahrt von der Straße abkommen und explodieren. Wünsche dieser Art wird er noch jahrelang hegen – in Schulbussen, Flugzeugen, Transportern, Zügen. Er erinnert sich auch, und zwar lebhaft, an die Vorhersage, die sein Vater trifft: Dass seine Freunde – Timothy, Derek, Jennifer – und ihre Eltern ihn schon sehr bald nicht mehr zum Spielen oder Übernachten zu sich einladen werden. Dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihnen ein Licht aufgeht, und wenn sie erst Bescheid wissen, werden sie eine solche Schweinerei, ein solches Monstrum, auf keinen Fall mehr bei sich zu Hause dulden.
     
    Letzteres arbeitet in ihm. Es weitet sich aus zu der Überzeugung, dass sie bereits Bescheid wissen, sich bei seinen Eltern beschwert und ihre Kinder, seine Freunde, vor ihm gewarnt haben. Bis sie ein paar Jahre später in eine kleinere Stadt weiter nördlich und tiefer in den Wäldern ziehen, sorgt er sich, dass seine Freunde, ihre Familien und sogar seine Lehrer insgeheim von seinem Problem wissen und dass der Tag kommen wird, an
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