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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten
Autoren: Valter Hugo Mae
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1 Der Faschismus der guten Menschen

    Wir sind gute Menschen. Was nicht heißt, wir wären deshalb Volltrottel, ohne eine gewisse Robustheit, um mit Schwierigkeiten fertig zu werden, ganz und gar nicht, wir sind wirklich gute Menschen und bewahren uns den naiven Willen, dass man uns als solche ansieht, als ehrliche und fleißige Leute. So ein Volk, verstehen Sie. Er legte den Kugelschreiber aus der Hand. Er wollte, dass ich ihn nicht missverstehe, und musste sich daher erst einmal sicher sein, dass ich ihm überhaupt zuhörte. Wissen Sie, antwortete ich, mir ist nicht sonderlich nach reden, ich bin etwas nervös. Machen Sie sich keine Sorgen, sagte er weiter, das Gespräch soll Ihnen vor allem als Unterhaltung dienen, und wenn Sie sich einfach nur unterhalten fühlen und selber nichts weiter sagen, nehme ich es Ihnen auch nicht übel. Das kommt von der Freiheit, fügte er hinzu. Einmal misstrauen wir allem und jedem, das andere Mal sind wir die friedlichsten Familienväter der Welt, unendlich glücklich und verträumt. Und wenn wir aus dem Haus gehen, können wir an alle möglichen Grausamkeiten denken, so als ob nichts wäre, und es ist auch nichts. Gedanken, mein Freund, zählen heutzutage nicht mehr viel. Sie sind nicht von Belang. Das kommt auch von den Freiheiten, dass es bedeutungslos ist, was man denkt, weil es so aussieht, als müsste man gar nicht mehr denken. Wissen Sie, es ist, als ob wir als freie Menschen überhaupt nicht mehr an die Freiheit denken müssten. Freiheit ist eine gegebene Tatsache, sie ist einfach da, wie Sauerstoff, so wie wir unsere Lunge zum Atmen benutzen. Und uns soll keiner einreden wollen, wir würden wieder Zensur brauchen, egal, was für eine, das wäre eine Unmenschlichkeit, wir sind doch jetzt Europäer. Jeder Fehler in unserem eigenen Denken muss durch europäisches Denken korrigiert werden, für immer. Es ist wirklich eine Errungenschaft. Das ist wie Atmen. Damit es Sauerstoff gibt und wir unsere Lunge benutzen dürfen, muss man keinen Antrag stellen, man macht es, und basta, und niemand käme auf die Idee, es könnte anders sein. Ich war ungeduldig. Ich nickte, als wäre ich einverstanden, das war meine Art, ein Gespräch abzukürzen, ohne durchzudrehen. Laura wurde nicht entlassen, und die Ärzte kamen und gingen, ohne sich auch nur die Bohne um mich zu kümmern. Der Mann griff wieder zum Kugelschreiber, um endlose Formulare auszufüllen, und sagte noch mal, wenn wir kein Aufsehen erregen, können wir ein Leben lang die schlimmsten Instinkte hegen, und niemand wird davon wissen. Mit der Freiheit passiert es nur den unvorsichtigsten Dummköpfen, schlechte Menschen zu sein. Alle anderen passen auf und fügen sich erhobenen Hauptes in die Gesellschaft ein. Und was sagt uns das?, fragte ich. Was uns das sagt?, griff er, entzückt von meinem gespielten Interesse, meine Worte auf. Ja, gab ich etwas provozierend zurück, was wollen Sie damit eigentlich sagen, was bedeutet so eine versponnene Behauptung in der Praxis? Er legte den Kugelschreiber wieder aus der Hand und erhob sich mit einem Gesichtsausdruck, als würde er mich gleich mit einem nicht enden wollenden Redeschwall überschütten, kam dann aber, nach kurzem Zögern, direkt zur Sache. In einer Zeit, in der wir alle gute Menschen sind, muss die Schuld bei den Unschuldigen liegen, antwortete er. Ich dachte an die Unschuldigen. Ich bin kein Mitleidsmensch, es gibt keine Unschuldigen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, bitte, könnten Sie nicht in Erfahrung bringen, wie es meiner Frau geht? Wir sind schon zwei Stunden hier, und dafür, dass ihr nach dem Kaffee schlecht wurde, ist das schon ganz schön lange, finde ich. Immer mit der Ruhe, immer mit der Ruhe, hier stellt Gott die Uhren. Ich glaube nicht an Gott, antwortete ich, die Menschen reichen mir. Denken Sie etwa, erwiderte er, ich glaube an ihn? Nein, das ist nur so eine Redensart, man plappert nach, was die anderen sagen, ohne groß darüber nachzudenken.
    Ich trat ans Fenster. Der Tag war trübe, nicht nebelig, sondern von einer so dichten Helligkeit, dass man sie kaum durchdringen konnte, die Augen brannten mir wie bei einem drohenden Unwetter. Er stand ebenfalls auf und sagte, es ist so schwül, ich hasse solche Tage. Wie ich, antwortete ich. Er fragte, wegen unseres Gespräches… Sie sind doch nicht böse, Senhor Silva, oder? Ach, i wo, sagte ich. Das sind so Dummheiten, die einem durch den Kopf gehen, wenn man zu viel über das Leben nachdenkt, betonte er, weil, über
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