Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
Geburtstag fiel auf einen Freitag. Meine Schwester und ich bekamen schulfrei und gingen schon ziemlich früh am Tag mit zu Großvaters Rauchstubenhaus. Es war klares Wetter und minus zwanzig Grad, eine trockene, windstille Kälte, die die Autoscheiben zufrieren ließ und die Bäume mit spitzen Eisnadeln bedeckte. Die letzten Morgensterne erloschen am Himmel. Das Licht schimmerte blau über den Wäldern. Vater stellte das Auto auf dem vorbereiteten Hofplatz ab, wir gingen mit knarrenden Schritten durch den körnigen Schnee und trampelten die Schuhe vor der Haustür ab. Der alte Hund drinnen fing sofort an zu knurren. Er war halbblind und biss gern, deshalb nahm ich den Besen und war schon bereit, als Großvater die Tür öffnete.
    »Tekkös sieltä tuletta? Ach, ihr seid das?«, sagte er auf Finnisch und tat ganz überrascht. Mutter streckte ihm die Blumen hin, die sie wegen der Kälte unter dem Mantel aufbewahrt hatte, Vater schüttelte die Hand und gratulierte, und ich fegte den angreifenden Spitz die Haustreppe hinunter, dass er sich jaulend überschlug.
    Wir setzten uns an den Küchentisch und hörten die Wanduhr ticken. Die Rauchstube sah unnatürlich ordentlich aus. Großvater saß im Schaukel stuhl, sein faltiger Hals scheuerte sich an dem bis oben zugeknöpften Hemdkragen, und er fingerte nervös am Schlips herum. Alles war so künstlich und steif, wie es sich an Feiertagen gehört.
    Zur Mittagszeit tauchten nach und nach die Onkel mit ihren Frauen auf, und große Sahnetorten wurden aufgedeckt. Einige Frauen fingen an, Kaffee zu kochen und die Thermoskannen zu füllen, während meine Schwester und ich halfen, die Scheiben ungesäuerten Brots zu buttern und saftige Scheiben im Ofen gebratenen Elchsteaks draufzulegen. Andere füllten Platten mit selbst gebackenen Keksen, und ein herrlicher Duft nach Zimt, Kakao und Vanille verbreitete sich im Haus.
    Draußen hatte sich eine bleiche Februarsonne durch das Schneetreiben gekämpft und den Wintertag zum Funkeln gebracht. Ein paar Rentiere kratzten in der Schneedecke weiter hinten auf der Wiese und schnappten sich ein paar verwelkte Halme. Andere lagen mit angezogenen Beinen in Schneekuhlen und hielten so ihre Wärme, nur die dunklen Köpfe schauten heraus. Der alte Hund kümmerte sich nicht um die Rentiere, sondern schnupperte stattdessen an Großvaters Pissecke, während sich ein paar Kohlmeisen um ein festgenageltes Schwartenstück stritten. Die ganze Landschaft war in ein weißes Tundralicht getaucht, lag unter einer Sonne, die so vollkommen ohne Wärme war, als würde sie auf einem Film gezeigt.
    Im Laufe des Nachmittags begannen die Besucher einzutrudeln. Autos füllten den Hofplatz und bald auch die Zufahrt. Die nächsten Nachbarn kamen auf dem Tretschlitten, und zwei kamen ganz gemächlich quer über die Wiesen auf Skiern angefahren. Jetzt begann die Feier Formen anzunehmen. Ein paar Tische, an denen sich die Gäste niederlassen konnten, standen gedeckt da, magere Kerle mit leckenden Augen und schmelzenden Eistropfen in den Augenbrauen und runde Weiber mit Unterarmen, die rau waren wie gesetzte Buttermilch, in geblümte Sonntagsstaat gezwängt. Der Kaffee wurde von der Untertasse geschlürft, Lachsbrote und Kuchen reihum aufgedrängt. Der alte Backofen wurde bis zum Glühen aufgeheizt, sodass die alten Frauen anfingen, von alten Zeiten zu schwärmen und Lust bekamen, Fladenbrot zu backen.
    Nach dem Nachschlag wurde der Zeitpunkt für gekommen gesehen, den Cognac hervorzuholen. Eine gekaufte Flasche wurde aufgedreht und von Vater herumgereicht. Die Schnapsgläser wurden hier und da unter stummem Nicken gefüllt, während die Autofahrer die Hand auf ihre legten. Die Stimmung wurde etwas munterer. Mutter schnitt Torten auf und legte sie auf die Teller. Man fing leise an, Hurra zu rufen, und stellte sich hin, während Großvater schwitzend im Schaukelstuhl sitzen blieb. Vater gab ihm noch einen Cognac, damit er eine gesündere Hautfarbe bekäme. Dann sang man mit feierlicher Miene Geburtstagsständchen in einem finnisch klingenden Schwedisch. Dem Alten war all diese Geschäftigkeit peinlich, er duckte sich hinter den Blumensträußen auf dem Tisch. Nun bekam er Bescheid, seine Geschenke auszupacken. Er hatte sie unberührt liegen lassen, damit die Leute nicht denken mochten, er würde nur deshalb das Fest ausrichten, eine kluge Vorsichtsmaßnahme in tornedalschen Gefilden. Mit zittrigen Fingern mühte er sich mit teuflisch zähen Bändern und Klebestreifen ab,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher