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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula
Autoren: Mikael Niemi
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die Augen öffnete, stand die Frau da. Eine dieser Fleischbergmütter aus Vittulajänkkä. Ihre Augen starrten unter ihren schweißnassen Dauerwelllöckchen hervor, es tropfte von Nase und Kinn. Mir war klar, dass sie gleich schreien würde. Die anderen herbeirufen, Lynchstimmung erzeugen. Sie würden uns mit ihren Hundertkiloärschen zu Boden drücken und überprüfen, ob wir Taschendiebe wären. Eine würde sagen:
    »Kulli pois!«, und dann würde eine der Waldsamitanten meine Hoden wie bei einem schreienden, weißäugigen Rentierbock zu Hackfleisch zerdrücken.
    Voller Panik zog ich den Rotz raus. Sprang in meine Unterhose, während die Alte kritisch meinen abnehmenden Ständer betrachtete. Das Trampeln aus dem Gymnastiksaal klang schwer und bedrohlich.
    »Viel Lärm um nichts«, sagte sie grinsend.
    Dann trank sie Wasser aus dem Wasserhahn, ließ einen Furz fahren und kehrte in die Turnhalle zurück. Ein kräftiger Geruch nach Viehstall begleitete uns den ganzen Weg hinaus.
    Das Mädchen setzte sich in ihren PV und sagte kurz »Tschüs«. Ich hinderte sie daran, die Tür zu schließen.
    »Sehen wir uns morgen?«, wollte ich wissen.
    Sie starrte mit angespannten, gleichgültigen Lippen vor sich hin.
    »Aber du kannst mir doch sagen, wie du heißt?«
    Sie fummelte ein wenig und ließ dann den Motor an. Legte den Gang ein und rollte los. Ich lief neben dem Wagen her und klammerte mich an der Tür fest. Sie starrte mich mit großen, dunklen Augen an. Und plötzlich ließ sie die Maske fallen. Sie zerplatzte, ging kaputt, und darunter war eine einzige große Fleischwunde.
    »Ich komme mit!«, rief ich verzweifelt.
    Sie gab Gas, die Tür wurde mir aus der Hand gerissen. Mit durchdrehenden Rädern schlitterte sie in einer aufwirbelnden Schneewolke unter den Straßenlaternen davon. Das Motorengeräusch wurde immer leiser und verklang schließlich ganz.
    Eine ganze Weile blieb ich noch an der gleichen Stelle stehen, während sich die Wahrheit in mir setzte. Sie hatte gar keinen Autoschlüssel gehabt. Das Auto war kurzgeschlossen. Und während der Schmerz in mir mit kalten Wurzelfäden wuchs, musste ich mir eingestehen, dass ich sie niemals wieder sehen würde.
    KAPITEL 20
    - über ein Geburtstagsfest, auf dem das Tornedallied aufgeführt wird und die Jagdgesellschaft erscheint, und wie vier Jünglinge auf die Sterne zielen.
    Mein Großvater wurde mit den Jahren immer mehr zum Einsiedler. Er kam am besten allein klar, und nachdem meine Großmutter verschieden war, stellte er fest, dass Menschen einfach nur anstrengend waren. Er wohnte in seinem abgelegenen Rauchstubenhaus, kam zurecht und hatte nur noch einen einzigen Wunsch in diesem Leben: daheim sterben zu dürfen. Die seltenen Male, wenn wir ihn besuchten, war er freundlich, aber zurückhaltend. Er wollte keinerlei häusliche Pflege, darüber sollten wir uns bitte schön verdammt noch mal klar sein, und bei ihm war es nicht schmutzig, er fühlte sich wohl so!
    Aber die Zeit konnte er nicht aufhalten, und schließlich näherte sich der Tag im Februar, an dem der Alte siebzig werden sollte. Die Familie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn so selten besuchte, und man wurde sich einig darin, dass man eine großartige Feier ausrichten wollte. Man wollte ein paar schöne Festbilder fürs Familienalbum haben, bevor der Alte dafür zu verkalkt war.
    Es kostete reichlich Überredung, bis das Objekt der Feier selbst zustimmte, nicht um seiner selbst willen, sondern nur der Familie zuliebe. Nichts Böses ahnend sah er zu, wie die Festvorbereitungen ihren Lauf nahmen. Die Woche davor füllte sich sein Haus mit Familienangehörigen, die den Fußschweiß von den lückenhaften Bodenplanken schrubbten, die Flickenteppiche mit grüner Seife wuschen, die alten Fenster in der Winterkälte mit Spiritus putzten, das Mottenpulver von dem schwarzen
    Beerdigungsanzug klopften, die Lampenschirme von altem Fett befreiten, die Wachstischdecken auswechselten, in allen Nischen Staub wischten und ungeahnte Mengen von Spinnengeweben und toten Fliegen fanden, Gerümpel in die Scheune trugen, die Schuhe in unnatürliche Reihen und Muster stellten und alles in Schränken und Schubläden hin und her sortierten, bis alles am falschen Platz und niemals wiederzufinden war. Großvater bereute seine Zusage mehrmals, jammerte und fluchte und wollte alle Eindringlinge hinauswerfen, aber es war wie die Operation zum D-day, sie war nicht mehr aufzuhalten, nachdem sie einmal eingeläutet worden war.
    Der
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