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Widerstand ist zwecklos

Widerstand ist zwecklos

Titel: Widerstand ist zwecklos
Autoren: Kerstin Gier
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Widerstand ist zwecklos
    Als ich aus dem Badezimmer kam, rümpfte Tante Babette die Nase. »Tchibo? Meine liebe Rosalie, was hatte ich dir über Unterwäsche für die Frau ab dreißig gesagt?«
»Dass sie ein Vermögen kosten muss, sonst kann man sie genauso gut ganz weglassen«, erwiderte ich und beeilte mich, mein Kleid überzustreifen. Durch die offene Balkontür wehte der Duft von Orangen und Rosen herein, Vögel sangen, und im Pool weiter hinten pflügte ein Gast einsame Bahnen durch das glitzernde Wasser. Eigentlich hätte alles so schön sein können. Urlaub eben - »die beste Zeit des Jahres«. Aber wer immer diese Redensart geprägt hat, musste sich kein Hotelzimmer mit meiner Tante Babette, zwei Perücken, einer geladenen Beretta 81 und einer Kameraausrüstung teilen, mit deren Teleobjektiv man jede einzelne Feder der Enten am anderen Seeufer erkennen konnte. Und nein, Tante Babette arbeitete nicht bei der CIA, sie war auch keine Auftragskillerin oder Privatdetektivin. Sie führte ein Geschäft für Damenoberbekleidung in Bottrop, und bis sie sich vor ein paar Wochen Hals über Kopf verliebt hatte, war sie noch vollkommen normal.
Jetzt blickte sie durch das Teleobjektiv auf die Terrasse und seufzte. »Eine Frau ab dreißig kann es sich nicht mehr leisten, schlechtsitzende BHs zu tragen, das habe ich gesagt. Jetzt trödel doch nicht so herum, sie können jeden Augenblick auftauchen, ogottogott, ich glaube, ich hyperventiliere gleich. Wenn sie besser aussieht als ich, springe ich vom Balkon.«
Ich tätschelte beruhigend ihre Schulter. »Es ist doch völlig unerheblich, wie sie aussieht. Du bist die Frau, die Karl liebt.«
»Das sagt er jedenfalls.« Tante Babette ließ das Teleobjektiv über die Terrasse schwenken. Wie gesagt, bevor die Liebe sie erwischt hatte wie eine unheilbare Krankheit, hatte sie das Leben einer ganz normalen Mittfünfzigerin geführt, ein ausgesprochen diszipliniertes und moralisch einwandfreies Leben. Sie arbeitete hart, in ihrer Freizeit spielte sie Tennis und Bridge, engagierte sich ehrenamtlich für die Kinderkrebshilfe, einmal im Monat ging sie zum Friedhof, um Unkraut vom Grab meines Onkels zu zupfen, und, ach ja, ihre Mascarpone-Pfirsich-Torte war ein Gedicht.
Jetzt war sie kaum wiederzuerkennen.
»Er sagt, dass sie wie Bruder und Schwester zusammenleben und dass er sie nach diesem Urlaub ganz bestimmt verlassen wird. Aber sind das nicht die Standardsätze aller Ehebrecher, mit denen sie einen hinhalten?«
»Nein«, erwiderte ich. »Jan zum Beispiel kann seine Frau gar nicht verlassen.« Obwohl fünfundzwanzig Jahre jünger als Tante Babette, hatte ich sehr viel mehr Erfahrung als heimliche Geliebte, ja man konnte mich guten Gewissens als Expertin für Beziehungen mit verheirateten Männern bezeichnen. Nicht dass ich es mit Absicht gemacht hätte, aber irgendwie schien ich mich immer nur in Ehemänner zu verlieben. Leider bisher ohne Happy End, weshalb ich diese Lebensform auch nicht wirklich weiterempfehlen konnte.
Mit Jan war ich nun schon fast ein Jahr zusammen. Jeden Dienstagabend waren wir sehr glücklich miteinander. Manchmal auch donnerstags. Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn wir auch an den restlichen Wochentagen ein Paar gewesen wären - aber so ist das eben, wenn man sich mit verheirateten Männern einlässt. Man sollte von Natur aus geduldig, genügsam und verständnisvoll sein.
Jans sechsjährige Tochter war schwer krank, weshalb es unmöglich für ihn war, die Familie im Stich zu lassen. Was ihn in meinen Augen sogar noch ein bisschen liebenswerter machte. Es störte mich nicht, dass er kein Geld für teure Geschenke übrig hatte und immer ich diejenige sein musste, die das Essen im Restaurant bezahlte, wenn wir mal ausgingen, denn er arbeitete Sonderschichten und verzichtete auf alles, nur um die alternativen Therapien für das kranke Kind finanzieren zu können.
Das Leben als Geliebte ist nicht einfach. Nach außen hin führt man weiter ein Singleleben, nie darf man in der Öffentlichkeit Händchen halten, auf Familienfesten erscheint man immer allein, und auch die Wochenenden, Urlaube und Feiertage verbringt man getrennt voneinander. In meinem Fall auch die Montage, Mittwoche und Freitage. Nicht mal zu Hause anrufen kann man seinen Geliebten, egal, wie groß die Sehnsucht auch sein mag. Aber nach einer gewissen Zeit gewöhnt man sich daran und arrangiert sich mit dem Unvermeidlichen. Na ja, jedenfalls hatte ich mich arrangiert. Meine Tante hingegen war
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