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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji
Autoren: Robert Harris
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Buschfeuern versengten Berge für trocken wie Wüsten, aber der Wasserbau meister wusste es besser. Dennoch spürte er, wie seine frühere Gewissheit ins Wanken geriet, und er versuchte sich zu erinnern, wie der Pfad im Gleißen der gestrigen Nachmittagssonne ausgesehen hatte, als er ihn zum ersten Mal erkundet hatte. Der gewundene Pfad, kaum breit genug für ein Maultier. Die Streifen von versengtem Gras. Und dann, an einer Stelle, an der das Gelände ebener wurde, Flecken von blassem Grün in der Schwärze – Anzeichen von Leben, bei denen es sich, wie sich herausstellte, um Efeu handelte, der sich an einem Felsbrocken hinaufrankte.
    Nachdem er eine Anhöhe halb hinaufgestiegen und wieder hinabgeklettert war, blieb er stehen und drehte sich langsam im Kreis herum. Entweder hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, oder der Tagesanbruch war jetzt nahe, was bedeutete, dass es fast zu spät geworden war. Die anderen waren hinter ihm stehen geblieben. Er hörte ihr schweres Atmen. Noch so eine Geschichte, die sie in Misenum erzählen konnten – wie ihr neuer, junger Aquarius sie aus den Betten geworfen und dann mitten in der Nacht in die Berge geführt hatte, und das alles nur wegen eines Hirngespinstes. In seinem Mund war ein Geschmack nach Asche.
    »Haben wir uns verirrt, hübscher Knabe?«
    Wieder die höhnische Stimme von Corax.
    Er machte den Fehler, den Köder zu schlucken. »Ich suche nach einem Felsbrocken.«
    Jetzt versuchten sie nicht einmal, ihr Gelächter zu unterdrücken.
    »Er rennt herum wie eine Maus im Nachttopf.«
    »Er muss hier irgendwo sein. Ich habe ihn mit Kreide markiert.«
    Noch mehr Gelächter – und er wirbelte herum und musterte sie: den gedrungenen und breitschultrigen Corax; den langnasigen Becco, der Gipser war; den rundlichen Musa, dessen Spezialität das Verlegen von Ziegelsteinen war; und die beiden Sklaven, Polites und Corvinus. Sogar ihre undeutlichen Gestalten schienen ihn zu verspotten. »Lacht. Gut. Aber eines verspreche ich euch: Entweder wir finden ihn vor Tagesanbruch, oder wir sind morgen Nacht wieder hier, dich eingeschlossen, Gavius Corax. Aber sieh zu, dass du dann nüchtern bist.«
    Schweigen. Dann spuckte Corax aus und trat einen halben Schritt nach vorn. Der Wasserbaumeister machte sich auf einen Kampf gefasst. Seit er in Misenum angekommen war, schien es darauf hinauszulaufen. Keine Stunde war vergangen, in der Corax nicht versucht hatte, ihn vor den Männern herabzusetzen.
    Und wenn wir kämpfen, dachte der Wasserbaumeister, wird er gewinnen – es steht fünf gegen einen –, und sie werden meine Leiche über die Klippe werfen und sagen, ich wäre im Dunkeln ausgerutscht. Aber wie würde das in Rom aufgefasst werden – wenn nach weniger als vierzehn Tagen ein zweiter Aquarius der Aqua Augusta verschwand?
    Einen langen Augenblick starrten sie sich an. Nicht mehr als ein Schritt war zwischen ihnen. Sie standen so nahe beieinander, dass der Wasserbaumeister den schalen Wein im Atem des Älteren riechen konnte. Plötzlich schrie einer der anderen – es war Becco – aufgeregt und zeigte mit der Hand.
    Hinter der Schulter von Corax, kaum sichtbar, war ein Felsbrocken, in der Mitte deutlich mit einem dicken weißen Kreuz markiert.
     
    Der Wasserbaumeister hieß Attilius – Marcus Attilius Primus, um seinen vollen Namen zu nennen, aber er hatte nichts dagegen, einfach Attilius genannt zu werden. Er war ein praktischer Mensch und hatte nie viel übrig gehabt für die Phantasienamen, die sich viele seiner Landsleute zulegten (»Lupus«, »Panthera«, »Pulcher« – »Wolf«, »Leopard«, »Schöner« – wem zum Teufel wollten sie damit etwas vormachen?) Und außerdem – welcher Name war ehrenhafter in seinem Beruf als der der Attilier, ihres Zeichens Wasser baumeister seit vier Generationen? Sein Urgroßvater war von Marcus Agrippa aus der Ballisten-Abteilung der Zwölften Legion »Fulminata« rekrutiert und zum Bau der Aqua Julia verpflichtet worden. Sein Großvater hatte den Anio Novus geplant. Sein Vater hatte die Aqua Claudia vollendet, sie über sieben Meilen hinweg in weiten Bögen auf den Esquilin geführt und am Tage ihrer Einweihung dem Kaiser wie einen silbernen Teppich vor die Füße gelegt. Und jetzt war er mit seinen siebenundzwanzig Jahren in den Süden, nach Campania, gesandt und mit der Befehlsgewalt über die Aqua Augusta betraut worden.
    Eine Dynastie, auf Wasser gebaut.
    Er schaute in die Dunkelheit. Oh, die Augusta war ein wahrlich
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