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Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)

Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)

Titel: Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
Autoren: Ilsa J. Bick
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» FUBAR « – so nannte es Jed. Damals bei den Marines hatten sie das gesagt, wenn eine Situation aussichtslos oder etwas total vermurkst war. Aber wie er diese Jugendlichen nennen sollte, wusste er nicht. Manche bezeichneten sie als Zombies, aber das traf es nicht, denn Zombies sind lebende Tote, und diese Kids waren das krasse Gegenteil. Jemand hatte das Wort »Chucky« in Umlauf gebracht, wahrscheinlich ein anderer alter Kriegsveteran, dem immer noch Vietnam im Kopf herumspukte. Doch es war was dran an diesem Namen. Diese Jugendlichen tauchten einfach aus dem Nichts auf, wie damals die Vietcong. Und die Chuckies waren genauso ein Albtraum: Monster mit dem Gesicht einer Tochter oder eines Sohnes. Wie in diesen alten Filmen über die verunstaltete psychopathische Mörderpuppe.
    An jenem Tag Anfang Oktober, als die Welt FUBAR wurde, lebten er und Grace in einer Einrichtung für betreutes Wohnen in Michigan, unweit von Watersmeet. Eben noch hatte er seiner Frau Grießbrei von der Unterlippe gewischt, und im nächsten Moment, weiß der Himmel wie viel später, kam er in einer Pfütze aus dünnflüssiger Müslipampe zu sich. Blut rann ihm aus den Ohren, ein bohrender Schmerz jagte durch sein Hirn – und dann sagte Grace, ohne irgendeine Spur von Verwirrtheit: »Jed, Schatz, ich glaube, ich habe mir in die Hosen gemacht.«
    Na gut, sie hatte ihre Inkontinenzwindel eingenässt, aber wen kümmerte das? Seine liebe Grace war wieder da. Ein Wunder war geschehen …
    Das sich aber in dem Moment verflüchtigte, als sie in den Flur hinaustaumelten und die Leichen sahen: Schwestern, Pfleger und Ärzte lagen kreuz und quer verstreut wie Mikadostäbchen.
    Und ihre Enkelin Alice verspeiste in aller Seelenruhe die Augen ihrer Mutter.
    Das lag knapp vier Monate zurück. Jetzt war die zweite Januarwoche angebrochen, und sie befanden sich nicht mehr in Michigan, sondern in Wisconsin. So früh am Morgen zeichnete sich das Sonnenlicht nur schwach und fahl am taubenblauen Himmel ab. Die Luft war still und klar und von einer spröden, lähmenden Kälte, die einem durch und durch ging. Jed sehnte sich nach einem ordentlichen Feuer, während er auf Schneeschuhen den Klippenweg entlangstapfte und dann zu dem dichten Gestrüpp aus immergrünen Bäumen am Seeufer hinunterglitt. An der scharfen Linkskurve, die tiefer in den Wald und weiter zum See führte, machte er halt und drehte sich um hundertachtzig Grad. Selbst ohne die verräterische graue Rauchfahne konnte er ihr Blockhaus leicht ausmachen, knapp fünfhundert Meter entfernt auf einer bewaldeten Sandsteinklippe. Um diese Tageszeit war das große Panoramafenster des Hauses nur ein dunkles Rechteck, mit zwei Pferden davor, nicht größer als Schrotkugeln.
    Vietnam hatte seine Spuren bei ihm hinterlassen, innerlich und äußerlich, wie auch bei den anderen Kriegsveteranen, die Jed kannte. Er hatte eine Kugel ins linke Auge bekommen, was schon schlimm genug war, aber die Kugel hatte in einer schräg laufenden Geschossbahn den Kopf durchschlagen und war am Hinterkopf wieder ausgetreten. Binnen einer Sekunde war von seinem linken Auge nur noch gallertartige Masse übrig und sein rechter Hinterhauptslappen Matsch. Sein rechtes Auge funktionierte eigentlich noch, aber durch die Hirnschädigung konnte er seit Vietnam nicht mehr lesen und keine Wörter mehr erkennen. Und farbenblind wurde er auch. Seine Umwelt nahm er nur noch in aschfarbenen Grautönen wahr, während seine Träume und Erinnerungen in schönstem Technicolor leuchteten. Außerdem produzierte sein Gehirn gespenstische Schemen, die die Militärpsychiater als Halluzinationen bezeichneten – eine Art visueller Phantomschmerz.
    Wie bei Grace … Aber in letzter Zeit hatte er sich verändert.
    Jetzt stand er da und blickte zu dem fernen Blockhaus hinüber. Sicher, auf dem linken Auge war er immer noch blind, der Augapfel fehlte, die Höhle war mit einem mittlerweile von Haut überwachsenen Kunststoffimplantat gefüllt. Irgendwie hatte er es nie geschafft, sich ein Glasauge anfertigen zu lassen, vielleicht weil es ihm egal war, wenn er andere Leute verstörte. Vietnam saß fest verkeilt in seinem Hirn, hartnäckig eingeklemmt wie ein sehniges Stück Fleisch zwischen den Zähnen, das ums Verrecken nicht rauszubekommen war. Warum also sollten es die anderen vergessen dürfen, wenn er selbst es nicht konnte?
    Aber sein gutes Auge tat sehr wohl noch seinen Dienst, inzwischen sogar besser denn je, und mit diesem blickte er nun auf das
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