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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji
Autoren: Robert Harris
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hier war sie, die Verkörperung römischer Macht: die silbrig glitzernden Scheiben des inneren und des äußeren Hafens, die goldenen Rammsporne und die fächerförmigen Hecks von fünfzig Kampfschiffen im gleißenden Licht der Spätnachmittagssonne, der staubige braune Exerzierplatz des Ausbildungslagers, die roten Ziegeldächer und die weiß gekalkten Mauern der zivilen Stadt oberhalb des Mastenwalds der Werft.
    Zehntausend Seesoldaten und weitere zehntausend Zivilisten lebten eng zusammengepfercht auf einem schmalen Streifen Land ohne nennenswerte Wasservorkommen. Erst der Aquädukt hatte Misenum möglich gemacht.
    Wieder dachte er an die merkwürdigen Bewegungen des Wasserdampfs und daran, wie die Quelle im Gestein zu verschwinden schien. Wirklich ein seltsames Land. Er betrachtete seine mit Blasen bedeckten Hände.
    »Ein Hirngespinst …«
    Er schüttelte den Kopf, blinzelte, um seine Augen von Schweiß zu befreien, und setzte seinen mühsamen Weg in die Stadt hinunter fort.

 
    Hora undecima
     
    [17.42 Uhr]
     
    »Für die Vorhersage von praktischer Bedeutung ist die Frage, wie viel Zeit vergeht zwischen dem Einschießen von neuem Magma und einer darauf folgenden Eruption. Bei vielen Vulkanen kann diese Zeitspanne Wochen oder Monate betragen, aber bei anderen scheint sie wesentlich kürzer zu sein, vielleicht nur Tage oder Stunden.«
     
    Volcanology
     
    In der Villa Hortensia, dem großen Landsitz an der Küste nördlich von Misenum, bereitete man sich darauf vor, einen Sklaven zu töten. Er sollte den Muränen vorgeworfen werden.
    Das war kein ungewöhnliches Verfahren in diesem Teil Italiens, in dem viele der großen Landsitze am Rande des Golfs von Neapolis ihre eigenen ausgedehnten Fischfarmen hatten. Der neue Besitzer der Villa Hortensia, der Millionär Numerius Popidius Ampliatus, hatte die Geschichte vom Aristokraten Vedius Pollio, der zur Zeit des Augustus ungeschickte Dienstboten, die Geschirr zerbrochen hatten, zur Strafe in sein Muränenbecken zu werfen pflegte, zum ersten Mal als Junge gehört, und er zitierte sie oft als perfekte Untermalung dafür, was es bedeutet, Macht zu haben. Macht, Phantasie, Verstand und einen gewissen Stil.
    Als dann, viele Jahre später, auch Ampliatus in den Besitz einer großen Fischfarm gelangt war – nur ein paar Meilen entfernt von Vedius Pollios damaliger Villa in Pausilypon – und als einer seiner Sklaven gleichfalls etwas von großem Wert vernichtet hatte, fiel ihm natürlich die alte Geschichte wieder ein. Ampliatus war selbst als Sklave geboren; so, dachte er, müsste ein Aristokrat sich verhalten.
    Der arme Kerl war bis auf sein Lendentuch entkleidet worden, und nun wurde er mit auf dem Rücken gefesselten Händen zur See hinuntergeführt. Mit einem Messer wurden seine Waden aufgeschlitzt, damit genügend Blut floss, und man übergoss ihn mit Essig, der, wie es hieß, die Muränen verrückt macht.
    Es war Spätnachmittag und sehr heiß.
    Die Muränen hatten ihr eigenes großes Becken, in einiger Entfernung von den anderen Fischen, und man erreichte es über einen schmalen Steg, der in den Golf hineinragte. Muränen waren berüchtigt für ihre Angriffslust, mit Körpern, so lang wie die von Männern und so dick wie ein Menschenrumpf, mit flachen Köpfen, breiten Mäulern und rasiermesserscharfen Zähnen. Die Fischfarm der Villa war hundertfünfzig Jahre alt, und niemand wusste, wie viele Muränen in dem Labyrinth aus Tunneln und finsteren Nischen im Boden des Beckens lauerten, bestimmt Dutzende, wahrscheinlich hunderte. Die älteren Muränen waren riesig, und mehrere von ihnen trugen Schmuck. Eine, an deren Rückenflosse ein goldener Ohrring saß, war angeblich ein Liebling des Kaisers Nero gewesen.
    Dem Sklaven, der bestraft werden sollte, flößten die Muränen ein ganz besonderes Entsetzen ein, denn – Ampliatus genoss die Ironie – es war seit langem seine Aufgabe gewesen, sie zu füttern, und er schrie und strampelte, noch bevor er auf den Laufsteg gezwungen wurde. Er hatte die Muränen jeden Morgen in Aktion gesehen, wenn er ihnen ihr Futter aus Fischköpfen und Hühner-Eingeweiden zuwarf – wie die Wasseroberfläche zuckte und brodelte, sobald die Tiere das Blut im Wasser schmeckten und wie sie dann aus ihren Verstecken hervorschossen, um ihr Futter kämpften und es in Stücke rissen.
    Um die elfte Stunde kam Ampliatus trotz der drückenden Hitze aus der Villa, um zuzuschauen, begleitet von seinem halbwüchsigen Sohn Celsinus, seinem
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