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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji
Autoren: Robert Harris
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ausgemergelte Ziege an einem Seilhalfter in Richtung Stadt führte. Er war der einzige Mensch, den sie sahen. Misenum selbst lag dem Blick verborgen direkt hinter dem Rand der Klippe. Gelegentlich drangen seine Geräusche zu ihnen herauf – Befehlsrufe von den Exerzierplätzen, Hämmern und Sägen aus den Werften.
    Auf dem Kopf einen alten, tief ins Gesicht gezogenen Strohhut, arbeitete Attilius am härtesten von allen. Selbst wenn die anderen sich gelegentlich davonschlichen, um sich in jedem Fleckchen Schatten, das sie finden konnten, auszuruhen, fuhr er fort, seine Hacke zu schwingen. Der Stiel war glitschig von seinem Schweiß und schwer festzuhalten. An seinen Händen bildeten sich Blasen. Die Tunika klebte an ihm wie eine zweite Haut. Aber er wollte vor den Männern keine Schwäche zeigen. Sogar Corax hielt nach einer Weile den Mund. Die Grube, die sie schließlich aushoben, war zwei Mann tief und so breit, dass zwei von ihnen darin arbeiten konnten. Und es war tatsächlich eine Quelle da, aber sie zog sich zurück, sobald sie in ihre Nähe kamen. Sie gruben. Zuerst wurde die rötliche Erde auf dem Grund der Grube feucht. Dann dörrte die Sonne sie wieder aus. Sie trugen eine weitere Schicht ab, und es passierte wieder dasselbe.
    Erst um die zehnte Stunde, als die Sonne bereits ihren Zenit überschritten hatte, gestand sich Attilius die Niederlage ein. Er beobachtete, wie ein letzter Wasserfleck schrumpfte und verdunstete, dann warf er seine Hacke über den Rand der Grube und kletterte selbst hinaus. Er nahm seinen Hut ab und fächelte sich das brennende Gesicht.
    Corax saß auf einem Felsbrocken und beobachtete ihn. Erst jetzt fiel Attilius auf, dass er barhäuptig war.
    »Bei dieser Hitze gerät dein Gehirn ins Kochen«, sagte der Wasserbaumeister. Er entkorkte seinen Schlauch, schüttete ein wenig Wasser in seine Hand und befeuchtete sich das Gesicht und den Nacken. Dann trank er. Das Wasser war heiß – so wenig erfrischend, als wurde er Blut trinken.
    »Ich bin hier geboren. Die Hitze macht mir nichts aus. In Campania nennen wir das kühl.« Corax räusperte sich und spuckte aus. Dann deutete er mit dem Kinn auf die Grube. »Was machen wir damit?«
    Attilius warf einen Blick darauf – eine hässliche Wunde in der Bergflanke, umgeben von großen Haufen Erde. Sein Monument. Seine Torheit. »Wir lassen alles, wie es ist«, sagte er. »Sorg dafür, dass die Grube mit Planken abgedeckt wird. Wenn es regnet, wird die Quelle sprudeln. Du wirst es erleben.«
    »Wenn es regnet, brauchen wir keine Quelle mehr.«
    Ein logischer Standpunkt, musste Attilius zugeben.
    »Wir können von hier aus eine Rohrleitung verlegen«, sagte er nachdenklich. Wenn es um Wasser ging, war er ein Romantiker. In seiner Phantasie nahm plötzlich eine ländliche Idylle Gestalt an. »Wir könnten diese ganze Bergflanke bewässern. Dann wäre es möglich, hier Zitronenbaume anzupflanzen. Oliven. Der Hang könnte terrassiert werden. Weinstöcke …«
    »Weinstöcke!« Corax schüttelte den Kopf. »Also sind wir jetzt Bauern! Hör zu, junger Experte aus Rom. Lass dir eines sagen. Die Aqua Augusta ist seit mehr als einem Jahrhundert nicht versiegt. Und sie wird auch jetzt nicht versiegen. Nicht einmal unter deiner Verantwortlichkeit.«
    »Hoffen wir's.« Der Wasserbaumeister leerte seinen Schlauch. Er spürte, wie die Demütigung ihn erröten ließ, aber die Hitze verbarg seine Scham. Er rammte den Strohhut fest auf seinen Kopf und bog die Krempe herunter, um sein Gesicht zu schützen. »Also gut, Corax, ruf die Männer zusammen. Für heute sind wir hier fertig.«
    Er griff nach seinem Werkzeug und machte sich auf den Weg, ohne auf die anderen zu warten. Sie konnten sich ihren Rückweg selbst suchen.
    Er musste aufpassen, wohin er die Füße setzte. Bei jedem Schritt huschten Echsen in das dürre Unterholz. Es ist hier eher wie in Afrika als wie in Italien, dachte er, und als er den Küstenpfad erreichte, tauchte unterhalb von ihm Misenum auf, im Hitzedunst flimmernd wie eine Oasenstadt und, so kam es ihm vor, im Takt mit den Zikaden pulsierend.
    Das Hauptquartier der kaiserlichen Westflotte war ein Triumph des Menschen über die Natur, denn eigentlich hätte es hier überhaupt keine Stadt geben dürfen. Es gab keinen Fluss, der sie mit Wasser versorgen konnte, und nur wenige Brunnen oder Quellen. Dennoch hatte der Göttliche Augustus entschieden, dass das Reich einen Hafen brauchte, von dem aus das Mittelmeer kontrolliert werden konnte, und
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