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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji
Autoren: Robert Harris
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Leben.
    Schließlich befreite er seine Beine und schaffte es, auf die Füße zu kommen. Die wieder aufgeloderten Feuer hoch oben auf dem Vesuv wiesen ihm die Richtung. Wahrscheinlich war es nur Einbildung, aber er glaubte sogar den Schatten der Stadt zu sehen. Um ihn herum breitete sich eine Ebene aus Bimsstein aus, vage in der Dunkelheit, eine gespenstische, sanft wogende Landschaft. Er machte sich auf den Weg nach Pompeji, wieder bis zu den Knien versinkend, schwitzend, durstig und mit dem beißenden Brandgeruch in Nase und Kehle. Weil die Stadtmauern so nahe waren, vermutete er, dass er jetzt fast den Hafen erreicht hatte, und wenn das stimmte, musste irgendwo ein Fluss sein. Doch der Bimsstein hatte den Sarnus unter einer Steinwüste verschwinden lassen. Durch den Staub hindurch hatte er den vagen Eindruck von niedrigen Mauern, die sich beiderseits von ihm erhoben, aber als er weiterstolperte, erkannte er, dass es keine Einfriedungen waren, sondern Gebäude, verschüttete Gebäude, und dass er sich eine Straße in Dachhöhe entlangmühte. Die Bimssteindecke musste mindestens sieben oder acht Fuß hoch sein.
    Es schien unmöglich, dass Menschen einen derartigen Steinhagel überlebt hatten. Und dennoch war es so. Er hatte nicht nur ihre Schemen gesehen, die sich auf den Stadtmauern bewegten, jetzt konnte er auch sie selbst erkennen, wie sie aus Löchern in der Erde kamen, aus den Katakomben ihrer Häuser – Einzelpersonen, Paare, die sich gegenseitig stützten, ganze Familien, sogar eine Mutter mit einem Säugling auf dem Arm. Da standen sie in dem körnigen, braunen Zwielicht, wischten sich den Staub von den Kleidern, blickten zum Himmel empor. Abgesehen vom gelegentlichen Aufprall kleinerer Geschosse hatte der Gesteinsregen aufgehört. Aber er würde wieder einsetzen, daran hatte Attilius keinen Zweifel. Es gab ein Muster. Je größer die Gewalt der brennenden Luft war, die die Flanken des Berges herabkam, desto mehr Energie schien sie aus dem Gesteinshagel herauszusaugen, und desto länger dauerte die Pause, bis er von neuem einsetzte. Und es gab auch keinerlei Zweifel daran, dass die Feuerschwaden an Stärke zunahmen. Die erste schien Herculaneum getroffen zu haben, die zweite war darüber hinausgeschossen, hinaus auf die See, die dritte schien fast bis nach Pompeji vorgedrungen zu sein. Es war durchaus möglich, dass die nächste über die Stadt hinwegfegte. Attilius quälte sich weiter.
    Der Hafen war verschwunden. Ein paar Masten ragten aus dem Bimssteinmeer heraus, ein zerbrochener Achtersteven und der undeutliche Umriss eines Rumpfes waren die einzigen Anzeichen dafür, dass es ihn je gegeben hatte. Er konnte die See hören, aber es klang, als wäre sie weit weg. Die Form der Küste hatte sich verändert. Gelegentlich bebte die Erde, und dann kam aus der Ferne das Geräusch brechender Mauern, berstender Balken und einstürzender Dächer. Ein Kugelblitz raste über die Landschaft und traf die Säulen des Venus-Tempels. Ein Feuer brach aus. Das Vorankommen wurde immer schwieriger. Er hatte das Gefühl, einen Abhang hinaufzuklettern, und er versuchte sich zu erinnern, wie der Hafen ausgesehen hatte, die rampenähnliche Straße, die von den Kaianlagen zum Stadttor hinaufführte. In der dunstigen Luft tauchten Fackeln auf und glitten an ihm vorbei. Er hatte damit gerechnet, auf Massen von Überlebenden zu treffen, die die Gelegenheit nutzten, aus der Stadt zu flüchten, aber sie bewegten sich in der entgegengesetzten Richtung. Menschen kehrten nach Pompeji zurück. Warum? Vermutlich, um nach anderen zu suchen, von denen sie getrennt worden waren. Um zu sehen, was sie aus ihren Häusern retten konnten. Um zu plündern. Er hätte ihnen gern gesagt, dass sie flüchten sollten, solange sie noch Gelegenheit dazu hatten, aber dafür hatte er nicht genügend Atem. Ein Mann stieß ihn aus dem Weg und überholte ihn. Wie eine Marionette taumelte er von einer Seite zur anderen durch das Geröll.
    Attilius erreichte das obere Ende der Rampe. Er suchte seinen Weg durch das staubige Zwielicht, bis er eine Ecke aus dickem Mauerwerk fand und sich um sie herumtastete, in den niedrigen Tunnel hinein, der alles war, was von dem großen Zugang zur Stadt übrig geblieben war. Er hatte die Arme ausstrecken und die gewölbte Decke berühren können. Jemand näherte sich ihm von hinten und ergriff seinen Arm. »Hast du meine Frau gesehen?«
    Er trug eine kleine Öllampe, die er mit der Hand abschirmte – ein junger Mann, gut
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