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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji
Autoren: Robert Harris
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aussehend und seltsamerweise makellos gekleidet, als machte er einen Morgenspaziergang. Attilius sah, dass seine Finger, die die Lampe umfassten, manikürt waren.
    »Tut mir Leid …«
    »Julia Felix? Du musst sie kennen. Jeder kennt sie.« Die Stimme des Mannes zitterte. Er rief: »Hat irgendjemand Julia Felix gesehen?«
    Etwas geriet in Bewegung, und Attilius begriff, dass sich ein Dutzend oder mehr Menschen hier zusammendrängten und unter dem Torbogen Schutz suchten.
    »Hier ist sie nicht vorbeigekommen«, murmelte jemand.
    Der junge Mann stöhnte und stolperte in Richtung Stadt. »Julia! Julia!« Seine Stimme wurde schwächer, und seine flackernde Lampe verschwand in der Dunkelheit. »Julia!«
    Attilius fragte laut: »Welches Tor ist das?«
    Derselbe Mann antwortete. »Das Stabiae-Tor.«
    »Also ist das die Straße, die zum Vesuvius-Tor hinaufführt?«
    »Sag es ihm nicht«, zischte eine Stimme. »Er ist ein Fremder, der uns ausrauben will!«
    Andere Männer mit Fackeln bahnten sich ihren Weg die Rampe hinauf.
    »Diebe!«, kreischte eine Frau. »Unsere Häuser sind alle unbewacht! Diebe!«
    Fäuste flogen, jemand fluchte, und plötzlich war der schmale Eingang ein Wirrwarr aus Schatten und geschwenkten Fackeln. Attilius behielt die Hand auf der Mauer und stolperte vorwärts, wobei er immer wieder auf Körper trat. Ein Mann fluchte, Finger schlossen sich um seinen Knöchel. Attilius befreite sein Bein mit einem Ruck. Er erreichte das Ende des Tors und warf gerade noch rechtzeitig einen Blick zurück, um zu sehen, wie einer Frau mit einer Fackel ins Gesicht geschlagen wurde und ihr Haar Feuer fing. Ihre Schreie verfolgten ihn, als er sich wieder umdrehte und zu laufen versuchte, verzweifelt bemüht, der Schlägerei zu entkommen, die jetzt Leute aus den Seitenstraßen anzuziehen schien, Männer und Frauen, die aus der Dunkelheit auftauchten, Schatten aus den Schatten, die ausglitten und den Abhang hinunterrutschten, um sich in das Getümmel zu stürzen.
    Wahnsinn: Eine ganze Stadt war verrückt geworden.
    Er stapfte die Anhöhe hinauf und versuchte sich zu orientieren. Ganz gewiss war dies der Weg zum Vesuvius-Tor – er konnte die orangefarbenen Feuersäume sehen, die sich ihren Weg auf dem Berg vor ihm bahnten –, was bedeutete, dass er nicht mehr weit vom Haus der Popidii entfernt sein konnte, das an dieser Straße liegen musste. Zu seiner Linken befand sich ein großes Gebäude, dessen Dach verschwunden war. Irgendwo in seinem Inneren loderte ein Brand und erhellte hinter den Fenstern das riesige, bärtige Gesicht des Gottes Bacchus – war es ein Theater? Rechts von ihm lagen die Umrisse von Häusern wie eine Reihe abgenutzter Zähne; nur ein paar Fuß Mauer waren noch zu sehen. Fackeln bewegten sich. Ein paar Feuer waren angezündet worden. Leute gruben hektisch, einige mit Planken, andere mit bloßen Händen. Wieder andere riefen Namen, zerrten Kästen, Teppiche und zerbrochene Möbelstücke heraus. Eine alte Frau kreischte hysterisch. Zwei Männer kämpften um etwas – Attilius konnte nicht sehen, was es war –, ein anderer versuchte mit einer Marmorbüste in den Armen zu flüchten.
    Er sah ein Gespann Pferde, im Galopp erstarrt, aus der Düsternis über seinem Kopf aufragen, und einen Moment lang starrte er sie verständnislos an, bis ihm klar wurde, dass es das Denkmal an der großen Straßenkreuzung war.
    Er ging wieder ein Stück die Straße hinunter, an dem vorbei, was seiner Erinnerung nach eine Bäckerei war, und endlich, sehr schwach und in Kniehöhe an einer Mauer, fand er eine Inschrift: SEINE NACHBARN EMPFEHLEN DIE WAHL VON LUCIUS POPIDIUS SECUNDUS ZUM ÄDILEN: ER WIRD SICH ALS WÜRDIG ERWEISEN.
     
    Er schaffte es, sich an einer der Nebenstraßen durch ein Fenster zu zwängen, und bahnte sich, Corelias Namen rufend, seinen Weg durch das Geröll. Nirgends war ein Lebenszeichen zu entdecken.
    Anhand der Mauern der Obergeschosse war es immer noch möglich, sich die Räumlichkeiten der beiden Häuser vorzustellen. Das Dach des Atriums war eingestürzt, aber die ebene Fläche daneben musste die Stelle sein, an der sich das Schwimmbecken befunden hatte, und dort drüben musste ein zweiter Hof gewesen sein. Er steckte den Kopf in einige der Räume, die einst im Obergeschoss gelegen haben mussten. Undeutlich konnte er zerbrochene Möbelstücke, Geschirrscherben, Fetzen von Vorhängen erkennen. Selbst dort, wo die Dächer schräg gewesen waren, hatten sie unter der Gewalt des Steinregens nachgegeben.
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