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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen
Autoren: Will Berthold
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auf den Wagen geladen.
    Der Sottocapo des Lupini-Clans hat Ginas gewaltsames Ende nicht erwartet, doch befürchtet, erstaunt darüber, daß alles so lange gut gegangen war: Ihre extravagante Art, ihre exzentrischen Allüren mußten den Padrino von jeher abgestoßen haben. Auch Ginas früherer Mann, Lello Vanoni, hatte längst von ihr genug. Von ihren Liebhabern hatte er, Pallottola, sich noch am längsten gehalten, lebte aber seit einem Jahr von der Italienerin getrennt von Tisch und Bett.
    Pallottola geht durch die Stadt, scheinbar ziellos. Was er spürt, ist nicht eigentlich Trauer, auch kein Entsetzen, eher eine Bestätigung ohne Genugtuung. Seit er von Ginas Züricher Mission erfuhr, fürchtete er spontan, daß man die ehemalige Frau Vanoni abgeschrieben haben könnte. Da es zur Philosophie des Clans gehört, alles zu Geld zu machen, langte man noch einmal ordentlich zu, bevor man Gina wegen Gefährdung der Familie aus dem Verkehr ziehen ließ.
    Welcher Auftragskiller sie in ihrer Wohnung in Parioli getötet hat, ist gleichgültig. Für den nächtlichen Straßenwanderer aber ist es entscheidend, was er jetzt unternimmt. Er steht längst nicht mehr zur Bruderschaft des Bösen mit ihrer melodramatischen Folklore, ihrer verstiegenen Romantik, ihrer mörderischen Ehrsucht, dem frommen Gehabe und den absurden Bandenkriegen. Lino Pallottola muß damit rechnen, daß er der nächste ist, den man eliminiert und dann pompös beisetzt, nach der alten Mafia-Regel: Der Mörder schickt den ersten Kranz.
    Er hat die Via Condotti erreicht, biegt in die Via Bocca di Leone ein.
    Er sieht sich noch einmal gründlich um, bevor er die Halle des Hotels betritt.
    »Ist Mr. Ginty im Haus?« fragt er den Portier.
    »Ja, Zimmer 111. Sie können von der Kabine aus mit ihm telefonieren.«
    Es dauert ziemlich lange, bis der aus dem Schlaf Gerissene den Hörer abnimmt.
    »Erschrick nicht, Craig!« beginnt Pallottola. »Denk darüber nach, woher du die Stimme kennst …«
    »Sprich weiter!« erwidert der Angerufene und reibt sich den Schlaf aus dem Gesicht.
    »Wir waren einmal gute Freunde. Das ist allerdings schon Jahre her.«
    »Deine Stimme erinnert mich an einen Toten – oder Vermissten«, erwidert Ginty und spürt die Gänsehaut im Rücken.
    »Nenn keine Namen, Craig!«
    »Wo steckst du?« fragt Ginty hastig.
    »Ganz in deiner Nähe. Hör zu, Junge«, fährt der Mann fort, der keinen Namen genannt haben will. »Ich möchte den Fehler meines Lebens korrigieren, verstehst du? Ich brauche dein Wort, daß du dich so verhältst, wie ich es dir sage: Du ziehst dich an, gehst ohne Erklärung aus dem Hotel, biegst nach links ab, überschreitest die Straße mit Berminis Barcaccia, gehst ganz langsam die Spanische Treppe hinauf und dann in Richtung Monte Pincio weiter. Irgendwo auf dieser Strecke, wenn ich sicher bin, daß du allein bist, spreche ich dich an. Erschrick bitte nicht, ich hab' ein anderes Gesicht …«
    »Okay – give me five minutes«, erwidert der OSS-Gefährte und legt auf.
    Pallottola verläßt das Hotel, postiert sich auf der anderen Seite. Niemand ist zu sehen, aber da die Bande nicht weiß, wie er auf Ginas Tod reagieren wird, läßt sie ihn vielleicht schon beobachten, und diese Schatten verstehen ihr Fach. Er hat auch schon als Charly Poletto harte Zeiten erlebt und sehnt sich doch nach ihnen zurück; er kann so wenig zu seinem alten Namen zurückkehren wie zu seinem früheren Gesicht.
    Er sieht Ginty aus dem Hotel kommen, läßt ihn um die Ecke gehen. Er folgt ihm – nicht ganz so vorsichtig, wie er es gelernt hat. Ihm bleibt keine Zukunft mehr, aber eine Gegenwart, die ihn befreien, erlösen wird von dem Alptraum der letzten Jahre, seit er nach dem Zusammenstoß mit General Donovan, bis zur Sinnlosigkeit betrunken, von Gina entführt worden war. In ihrem Bett erwacht, hatte er sich wie ein Rasender in sie verliebt und war bei der Zweisamkeit mit ihr durch alle Höhen und Tiefen gegangen. Auf ihren Wunsch hatte er sich immer tiefer in den Mafia-Morast verstrickt und sich bei einem plastischen Chirurgen ein neues Gesicht mit eng anliegenden Ohren und gestreckten Wangen schneidern lassen.
    Von da an hatten sie ihn ganz in der Hand.
    Er sieht Ginty, wie er langsam die Spanische Treppe hinaufgeht. Kurz vor der Basilika ›Trinità dei Monti‹ spricht er ihn an.
    »Du hast es erraten«, sagt er. »Ich bin's, Charly Poletto.«
    Der frühere Freund betrachtet ihn verblüfft.
    »Hättest du mich erkannt?«
    »Kaum«,
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