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Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses
Autoren: Ellis Peters
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schlanker und harter Mann von etwa fünfzig Jahren. Er hatte ein hageres Asketengesicht und die klugen Augen eines Gelehrten, und er war so energiegeladen und robust, daß er abstieg und sofort das Hochamt zelebrierte, bevor er sich zurückzog, um den Straßenstaub abzuwaschen und nach dem langen Ritt eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Ebensowenig vergaß er das Gebet, das er seiner Herde auferlegt hatte und das dem Seelenfrieden von Rainald Bossard diente, der am Mittwoch, dem neunten April, im Jahre des Herrn 1141 in Winchester ermordet worden war. Er war seit acht Wochen tot und in einem ganz anderen Teil Englands ermordet worden - welche Bedeutung hatte Rainald Bossard für die unbedeutende Stadt Shrewsbury oder die Bewohner dieses entlegenen Benediktinerklosters?
    Die Brüder sollten erst am nächsten Morgen beim Kapitel den Bericht des Abtes über das wichtige Konzil im Süden hören, auf dem über die Zukunft Englands entschieden werden sollte; doch als Hugh Beringar am Nachmittag Abt Radulfus seine Aufwartung machte und um eine Audienz bat, mußte er nicht warten. Die wichtigen Angelegenheiten erforderten die enge Zusammenarbeit der weltlichen und kirchlichen Mächte, um das bißchen Ordnung und Gesetz zu verteidigen, das in England überlebt hatte.
    Das private Sprechzimmer des Abtes, das zu seiner Wohnung gehörte, war ebenso streng wie der Vater, der in ihm wohnte; es war spärlich möbliert, doch nun, um die Mittagsstunde, fiel das volle Sonnenlicht durch zwei geöffnete Läden auf den gefliesten Boden. Draußen, im kleinen, umfriedeten Garten, sah man üppiges Grün und Blumen in strahlenden Farben. Bunte Tupfer, ein Widerschein des frisch erblühten Lebens draußen, flammten auf der dunklen Holzvertäfelung des Raumes auf, erzitterten, zuckten hin und her und verschwanden. Hugh saß im Schatten und betrachtete das scharfgeschnittene Profil des Abtes, das sich kantig und dunkel vor dem beweglichen, hellen Hintergrund abhob.
    »Meine Verpflichtung ist Euch ebenso bekannt, Ehrwürdiger Vater«, sagte Hugh, während er das ruhige, edle Gesicht betrachtete, »wie mir die Eure. Aber wir haben vieles gemeinsam. Was immer Ihr mir über den Gang der Dinge in Winchester sagen könnt, wird mir sehr von Nutzen sein.«
    »Das kann ich verstehen«, sagte Radulfus mit einem schmalen, traurigen Lächeln. »Ich ging, weil ich von dem gerufen wurde, der das Recht hat, mich zu rufen. Ich wußte, wie die Dinge standen - der König gefangen, die Kaiserin über den größten Teil des Südens herrschend und durch das Recht des Eroberers in der Position, die Königskrone zu beanspruchen.
    Wir beide, Ihr und ich, wir wußten, was dort unten verhandelt werden würde. Ich kann Euch nur das berichten, was ich selbst sah. Am ersten Tag unserer Versammlung, es war Montag, der siebte April, geschah weiter nichts außer der feierlichen Begrüßung aller Teilnehmer und der Verlesung der Briefe - es gab eine ganze Menge davon! -, der Briefe all jener, die ihr Fernbleiben entschuldigten. Die Kaiserin hatte in der Stadt Unterkunft genommen, doch sie zog mehrmals ins Land hinaus, nach Reading und zu anderen Orten, während wir verhandelten. Sie nahm an den Verhandlungen nicht teil; soviel Diskretion besitzt sie.« Er sprach mit trockener Stimme und es war nicht zu erkennen, ob er das Ausmaß ihrer Rücksichtnahme für ausreichend oder unzureichend hielt. »Am zweiten Tag...« Er unterbrach sich und versuchte, sich zu erinnern, was er gesehen hatte. Hugh wartete aufmerksam, ohne sich zu rühren.
    »Am zweiten Tag, es war der achte April, hielt der Legat seine große Rede...«
    Es war nicht schwer, sich ihn vorzustellen. Henry von Blois, Bischof von Winchester und päpstlicher Legat, der jüngere Bruder und deshalb Gefolgsmann des Königs, unanfechtbar im Kapitelhaus seiner eigenen Kathedrale eingerichtet, der klügste Drahtzieher des Königreichs, daheim auf seinem eigenen Grund und Boden - und doch in die Defensive gedrängt, soweit dies jedenfalls bei einem so rührigen Mann möglich war. Hugh war ihm noch nie begegnet und hatte sich nicht einmal dem Gebiet genähert, über das er herrschte. Er hatte nur von ihm gehört, und doch konnte er ihn jetzt vor sich sehen, wie er mit kaiserlicher Haltung seiner unwilligen Versammlung vorsaß. Er hatte eine schwierige Rolle zu spielen, denn er mußte sich von seiner bekannten Verbundenheit mit seinem Bruder lossagen und doch Gesicht, Ansehen und Einfluß bei jenen wahren, die auf seiner Seite
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