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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P
Autoren: Wein des KGB
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    Bis zu dem Moment, als Monsieur Coulange aufstand und sich der Rezeption zuwandte, hatte Martin Bongers keinerlei Argwohn verspürt. Das Gespräch, zu dem der Manager aus Paris angereist war, verlief in einem nahezu persönlichen Ton. Um das Eis zu brechen, hatten die beiden Männer ein unerschöpfliches Thema gewählt: die Krise des Bordelaiser Weinbaus. Allem Anschein nach hatten die Winzer begriffen, dass die Lorbeeren, auf denen sie sich ausruhten, wie alle Blätter nach einer Weile vertrocknen und dass in anderen Ländern ebenfalls großartige Weine gemacht werden. Den Auftrag jedoch – nur deshalb war Coulange nach Bordeaux gekommen – hatte er lediglich am Rande erwähnt. Aber auch das war noch kein Grund, misstrauisch zu werden.
    Martins Misstrauen erwachte erst, als Coulange nicht wie angekündigt den Weg zu den Toiletten einschlug, sondern auf einen Mann zuging, der im entgegengesetzten Teil der Hotelhalle im Halbdunkel auf ihn gewartet hatte. Seit dem Mord an seinem Freund Gaston reichte dazu der nichtigste Anlass, Martin war dünnhäutig geworden. Die beiden Männer kannten sich zweifellos. Was hatte Coulange mit jemandem zu besprechen, den er ihm allem Anschein nach vorenthielt?
    Auf halbem Wege zum Tisch mit den Zeitungen, wo Martin einen Blick in die heutige Ausgabe von ›Le Monde‹ hatte werfen wollen, änderte er die Richtung und blieb hintereiner der großen Palmen zwischen den Sitzgruppen stehen. Von hier aus hatte er Coulange und seinen Gesprächspartner im Blick, ohne gesehen zu werden.
    Er bog einen der Fächer der Palme nach unten und strich mit dem Finger darüber. Mediterranes Flair, dachte er, künstlich wie alles in diesem Luxushotel. Coulange und sein unbekannter Gast passten bestens hierher. Coulange hatte das Hotel als Treffpunkt vorgeschlagen. Martin bewegte sich auf derartigem Parkett nur dann, wenn er seine Weine präsentierte. Sie waren gut, sie waren teuer, sie brauchten diesen Rahmen. Er brauchte ihn nicht, und Charlotte hatte ihn mehrmals lächelnd daran erinnern müssen, sich die Fingernägel zu reinigen, wenn er aus dem Weinberg direkt zu einem solchen Ereignis eilte.
    Coulange lehnte sich an einen Pfeiler und redete auf den anderen Mann ein, der ab und zu eine Frage stellte. Beide standen so nah zusammen, dass zwischen ihnen eine vertrauliche Beziehung bestehen musste, gleichzeitig taxierten sie die ankommenden Gäste. Der zweite Mann war groß und schlank, grauhaarig und nicht übermäßig elegant gekleidet, und er war um einiges älter, er war der Ranghöhere. In den Jahren als Weinhändler in Frankfurt hatte Martin gelernt, seine Kunden bereits beim Betreten seines Ladens einzuschätzen. Er hatte sich selten getäuscht.
    Wieso hatte Coulange diesen Mann nicht an ihren Tisch gebeten? War es sein Vorgesetzter, dem er einen Bericht über den Verlauf ihrer Unterredung erstattete? Unsinn. Bislang war nichts Konkretes besprochen worden. Nicht einmal den Vertrag hatte er gesehen. Wenn Coulange bereits jetzt zum Rapport bestellt war, dann war er nicht der, für den er sich ausgab. Oder ging es gar nicht um Martin und den möglichen Auftrag? Was sollte dann die versteckte Kopfbewegung in seine Richtung?
    Es war unmöglich, sich den Männern weiter zu nähern, um zu hören, worüber sie sprachen. Martin ging langsam zurückzu den Zeitungen und blätterte in der ›Le Monde‹. Während er die Schlagzeilen überflog, ließ er die Männer nicht aus den Augen. Ihr Gespräch währte nur kurz. Ohne sich mit einem Händeschütteln zu verabschieden, trennten sie sich. Coulange ging immer noch nicht, wie angekündigt, zu den Toiletten, sondern zur Rezeption und steuerte dann auf den Tisch mit den Sesseln zu, wo sie zuvor gesessen hatten.
    Martin erreichte die Sitzgruppe vor ihm. Er ließ sich in einen der Sessel fallen, faltete die Zeitung auseinander und starrte die Buchstaben an. Es war ärgerlich, dass ihm seine heimliche Beobachtung die Laune verdorben hatte. Mit einem Gefühl von Neugier war er hergekommen, jetzt hatte sich eine Missstimmung in das Treffen eingeschlichen, wie ein unbekannter Fehlton in einem ansonsten guten Wein.
    Coulange hatte bisher einen vertrauenswürdigen Eindruck gemacht, und sein Vorschlag war interessant. Martin ließ die Zeitung sinken, als der Manager sich setzte. Coulange lächelte, jovial und geschäftlich, jedoch nicht wie einer, der wirklich lächelt, wenn er morgens mit einer Schere in der Hand durch seinen Weinberg geht, Reben schneidet, sich
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