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Silberglocken

Silberglocken

Titel: Silberglocken
Autoren: Debbie Macomber
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1. KAPITEL
    “D as verstehst du nicht, Dad.”
    “Mackenzie, es reicht!”
    Carrie Weston eilte gerade durch die Halle zum Aufzug. “Halt!” rief sie. “Nehmen Sie mich mit!” Sie war mit Post, Lebensmitteltüten und Kartons voller Weihnachtsschmuck beladen. Die beiden anderen Liftinsassen, ein Mann und ein Mädchen, schienen einander nicht gerade freundlich gesonnen zu sein. Vielleicht hätte sie doch lieber warten sollen. Aber ihr taten die Arme weh, und Geduld war noch nie eine ihrer hervorragenden Eigenschaften gewesen.
    Der Mann hielt ihr die Lifttür auf.
    “Danke”, sagte Carrie atemlos.
    Das Mädchen in seiner Begleitung war etwa dreizehn Jahre alt. Die beiden waren erst vor kurzem in das Apartmenthaus gezogen, und soviel Carrie von anderen Mietern gehört hatte, wollten sie auch nur ein paar Wochen oder Monate bleiben, bis ihr eigenes Haus fertig war.
    Die Lifttüren glitten langsam, fast zögernd zu. Aber die Menschen, die in dem dreistöckigen Ziegelbau von Anne Hill in Seattle wohnten, hatten es selten eilig. Carrie war die Ausnahme. Trotzdem lebte sie gern hier.
    “Welches Stockwerk?” fragte der Mann.
    Carrie verlagerte das Gewicht ihrer Päckchen. “Zweites. Danke”, fügte sie dann hinzu.
    Der Mann, er mochte Mitte dreißig sein, lächelte und drückte auf den entsprechenden Knopf. Dann wandte er den Blick ab. Carrie fand ihn ziemlich arrogant.
    “Ich heiße Mackenzie”, sagte das Mädchen jetzt und lächelte sie an. “Und das ist mein Vater. Philip Lark.”
    “Carrie Weston.” Carrie stützte ihre Tüten auf einem Knie ab und gab dem Mädchen die Hand. “Willkommen in unserem Haus.”
    Philip Lark konnte nicht anders, als Carrie ebenfalls die Hand zu reichen. Sein Griff war angenehm fest. Er betrachtete seine Tochter düster. Offenbar nahm er ihr ihre Kontaktfreudigkeit übel.
    Aber Mackenzie ließ sich davon nicht weiter beeindrucken. “Ich glaube, Sie sind der einzig normale Mensch im ganzen Haus.”
    Carrie musste gegen ihren Willen lächeln. “Daraus schließe ich, dass du Madam Fredrick schon kennen gelernt hat.”
    “Ist das eine echte Kristallkugel, die sie immer dabei hat?”
    “Das behauptet sie wenigstens.”
    Madam Fredrick sagte alles voraus -- vom Wetter bis zum bevorstehenden Schuhausverkauf in Nordstrom. Niemals traf man sie ohne ihre Kristallkugel, die sie auf einem kleinen Wagen hinter sich herzog. Über jeder Augenbraue klebte ein falscher grüner Smaragd. Gekleidet war sie ausnahmslos in kaftanähnliche, wallende Gewänder, und ihr langes silberweißes Haar hatte sie hoch auf dem Kopf aufgetürmt. Carrie fühlte sich manchmal an eine Ballkönigin aus den sechziger Jahren erinnert.
    “Ich finde Madam Fredrick sehr nett”, erklärte Mackenzie jetzt.
    “Ich auch. Hast du Arnold auch schon kennen gelernt?” wollte Carrie wissen.
    “Meinen Sie den Mann, der früher beim Zirkus war?”
    Carrie nickte und wollte gerade zu einer Erklärung ausholen, als der Lift mit einem seufzenden Ruck zum Halten kam und die Türen sich öffneten. “Vielleicht sehen wir uns einmal wieder”, sagte sie zum Abschied und setzte sich in Bewegung.
    “Ja, vielleicht”, brummte Philip Lark. Und obwohl er in ihre Richtung sah, hatte Carrie den Eindruck, dass er sie gar nicht wirklich wahrnahm. Vermutlich hätte er sie nicht einmal wahrgenommen, wenn sie nackt vor ihm gestanden hätte. Nicht dass sie das störte.
    Die Lifttüren schlossen sich bereits, als Mackenzie ihr noch schnell nachrief: “Darf ich Sie einmal besuchen?”
    “Ja, natürlich.” Der Aufzug hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt, aber Carrie hörte noch, dass Mackenzies Vater etwas sagte. Seine Stimme klang gereizt und vorwurfsvoll. Aber ob die beiden nur ihren vorherigen Streit fortführten, oder ob ihm nicht passte, dass seine Tochter sich einfach bei ihr eingeladen hatte, bekam sie nicht mit.
    Unter der Last ihrer Einkäufe musste sie eine Weile mit dem Schlüssel herumhantieren, bis sich ihre Wohnungstür endlich öffnete. Sie stieß sie mit dem Fuß zu und ließ dann den Weihnachtsschmuck einfach aufs Sofa fallen, bevor sie den Rest ihrer Last in die Küche brachte.
    “Du wolltest ihn doch kennen lernen”, sagte sie laut zu sich. “Jetzt hast du es geschafft.” Sie gestand es sich nur ungern ein, aber Philip Lark hatte sich doch als ziemlich große Enttäuschung entpuppt. Sein Interesse an ihr war ungefähr so groß wie am Schaufenster einer Bäckerei. Aber was hatte sie sich denn vorgestellt? Dass
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